Vor dem Hintergrund der Klimakrise erlangt das Thema Bodenverbrauch endlich auch in der öffentlichen Diskussion jene Bedeutung, die es schon lange verdient. Aber: Statt konstruktiv über Lösungen zu diskutieren, werden "Flächen-Sünder" gesucht und derzeit – entgegen allen wissenschaftlichen Fakten – primär im Bereich des Einzelhandels bzw. der Shoppingcenter "identifiziert". Eine neue Studie von Standort + Markt zeichnet nun ein deutlich differenzierteres Bild.
"Über Geschmack kann man diskutieren, über Fakten nicht. Der Handel ist mit 0,6 Prozent der gesamten Flächeninanspruchnahme in Österreich nicht der Treiber des Bodenverbrauchs, sondern eine Randerscheinung. Für die bisherige Flächeninanspruchnahme sind schwerpunktmäßig der Wohnbau mit 45,4 Prozent, Verkehrsflächen mit 36,0 Prozent und handelsfremde Betriebsflächen mit 10,9 Prozent hauptverantwortlich. Dennoch sichert der Handel in allen Regionen die Nahversorgung und belebt Gemeinden", fasst Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will die wichtigsten Ergebnisse der brandneuen Studie zusammen, die er heute mit Christoph Andexlinger, Obmann des Austrian Council of Shopping Places (ACSP), präsentierte und die der Handelsverband und das ACSP gemeinsam in Auftrag gegeben haben.
"Die neue Studie von Standort+Markt zeigt, dass nur drei Promille der versiegelten Fläche in Österreich auf Shoppingcenter entfallen. Wer davon ableitet, dass unsere Branche der Treiber der Flächenversiegelung sei, liegt offensichtlich falsch und verkennt die Fakten. In den vergangenen drei Jahren kam zudem praktisch kaum ein Quadratmeter Flächenversiegelung durch Shoppingcenter neu hinzu", sagt Christoph Andexlinger. “Gemessen am Wachstum anderer Sektoren entwickelt sich der Anteil des Handels am Flächenverbrauch sogar unterdurchschnittlich – mit weiter rückläufiger Tendenz“, ergänzt Handelssprecher Will.
Bundesweite Bodenstrategie ausständig
Pro Jahr werden in Österreich im Schnitt 41 km2 an Boden in Anspruch genommen, das entspricht in etwa einem Bodenverbrauch von 11,3 ha pro Tag. Etwa die Hälfte dieser Fläche wird auch versiegelt – also mit einer wasser- und luftundurchlässigen Schicht verdeckt, wodurch das Bodenleben abstirbt. Gemäß Regierungsprogramm 2020 – 2024 soll die Flächeninanspruchnahme bis 2030 auf 2,5 ha pro Tag bzw. 9 km² pro Jahr sinken. Eine verbindliche Strategie, wie dieses Ziel erreicht werden soll, steht seitens der Regierung noch aus.
Laut Umweltbundesamt setzt sich die Flächeninanspruchnahme wie folgt zusammen:
Bei den amtlich erfassten Daten wird innerhalb der Kategorie Betriebsflächen nicht genauer nach Branchen (Industrie, Logistik, Gewerbe, Handel) unterschieden. Warum daher ausgerechnet immer wieder der Handel – und hier insbesondere der Lebensmittelhandel sowie die Shoppingcenter-Branche – in der öffentlichen Diskussion als hauptverantwortlicher Treiber des Bodenverbrauchs verantwortlich gemacht wird, war bisher anhand der dünnen Faktenlage nicht objektiv nachvollziehbar. Genau in diese Lücke stößt nun die neue Studie vor und deckt ein völlig anderes Bild auf.
Handel nur für 5,2 % der Betriebsflächen verantwortlich
Von den 83.883 km2 Gesamtfläche, die Österreich umfasst, sind aufgrund der Topographie lediglich 32.540 km2 zur Besiedelung geeignet – der sogenannte Dauersiedlungsraum. Davon sind – Stand heute – 2.411 km2 auch tatsächlich versiegelt. Zum Vergleich: 36.105 km2 entfallen auf Wälder, 23.846 km2 auf Äcker, Wiesen oder Weiden. Auf Betriebsflächen der unterschiedlichsten Branchen entfallen 683 km2. Auch hier ist aufgrund der Struktur der amtlichen Statistiken keine weitere Unterscheidung nach Wirtschaftszweigen möglich. Dies leistet nun erstmals die neue Studie von Standort + Markt für den Handelsverband und das Austrian Council of Shopping Places (ACSP). Zentrale Ergebnisse:
Lebensmittelhandel für lediglich 0,8 % der jährlichen Neuversiegelung verantwortlich
Mit einem Umsatz von rund 26,1 Mrd. Euro (2022) bzw. einem Anteil von fast einem Drittel (32%) am gesamten Einzelhandelsumsatz nimmt der Lebensmittelhandel eine besonders prominente Rolle ein. Gemessen an der Flächeninanspruchnahme (14,4 km²) liegt der Kurzfristbedarf (Lebensmittelhandel und Drogerien) bei 40% der Flächeninanspruchnahme des gesamten Einzelhandels (35,7 km²).
Laut Studie betrug die Neuflächenversiegelung im Lebensmittelhandel im Schnitt der letzten drei Jahre 0,19 km2 p.a.. "Bei einer zuletzt neu versiegelten Fläche von 24 km² entspricht der Anteil des Lebensmittelhandels einem Wert von höchstens 0,79% an der gesamten jährlichen Neuversiegelung sowie einem Anstieg der bereits vom Lebensmittelhandel belegten Flächen um ca. 1,6% jährlich. Damit sichert die Branche die Versorgung unserer wachsenden Bevölkerung. Denn auch die Wohnbevölkerung Österreichs wuchs von 2022 auf 2023 um 1,4 Prozent", bekräftigt Handelssprecher Rainer Will.
Nur 0,19 % der neu versiegelten Fläche entfällt auf Shoppingcenter
Näher beleuchtet wird in der Studie auch die Shoppingcenter-Branche. Österreichweit gibt es laut Standort + Markt derzeit 245 Shoppingcenter (Shopping Malls, Retail Parks, Outlet Center und Sonderformen) mit einer Grundstücksfläche von insgesamt 8,0 km2. Von dieser Fläche sind 89,4% versiegelt, wobei von der versiegelten Fläche je etwa die Hälfte auf das Gebäude selbst, die andere Hälfte auf Park- und Verkehrsflächen entfällt. Damit haben die Shoppingcenter in Österreich bis dato mit einer gesamten versiegelten Fläche von 7,2 km² lediglich 0,3% Anteil an der Gesamtflächenversiegelung von Österreich (derzeit 2.411 km²). "In Bezug auf die Betriebsflächen halten die Shoppingcenter in Österreich einen Flächenanteil von 1,18 Prozent. Der Anteil an der bisherigen Flächeninanspruchnahme insgesamt fällt mit 0,14 Prozent besonders niedrig aus", bestätigt Christoph Andexlinger.
Da Standort+Markt bereits seit Jahrzehnten die Daten aller Shoppingcenter Österreichs lückenlos erhebt, kann hier auch Auskunft über die zeitliche Entwicklung gegeben werden. Nach einem Höhepunkt der Flächenexpansion rund um die Jahrtausendwende kam es bereits vor rund zehn Jahren zu einem deutlichen Rückgang des Flächenzuwachses. In den Jahren 2013 bis 2023 wuchs die durch Shoppingcenter versiegelte Fläche im Schnitt um 0,04 km2 p. a.. Der Anteil der Shoppingcenter an der jährlichen neu versiegelten Fläche liegt somit durchschnittlich bei nur 0,19% pro Jahr, bzw. in den vergangenen drei Jahren bei annähernd null Prozent.
Bundeslänervergleich: Das Burgenland ist am meisten verbaut
Regional sind die Trends bei der Bodenversiegelung sehr unterschiedlich. Mit Abstand negativer Spitzenreiter ist das Burgenland. Hier sind pro Einwohner und über alle Nutzungsarten hinweg bereits 500 m2 versiegelt. Mit großem Abstand folgt Niederösterreich (402,8 m2) vor Kärnten (365,5 m2). Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und entsprechend dichter Bauweise am wenigsten versiegelte Fläche pro Kopf weist Wien mit 55,5 m2 auf. Aber auch in Vorarlberg (177,6 m2) und Tirol (222,0 m2) geht man vergleichsweise sparsam mit dem Boden um.
Eines ist jedoch allen Bundesländern gemein: Der Anteil des Einzelhandels an der versiegelten Fläche liegt immer im äußerst niedrigen einstelligen Prozentbereich, bei Shoppingcentern sogar bei unter einem Prozent.
"Jeder Quadratmeter in Österreich ist bestmöglich zu nutzen. Polemik hat bei diesem wichtigen Thema keinen Platz. Standort+Markt kann mit seiner analytischen Vorgehensweise garantieren, dass für jeden Standort in Österreich die bestmögliche Nutzung unter Wahrung von Ökonomie und Ökologie herausgefiltert werden kann. Dazu ist es aber erforderlich, dass sich Politik wie auch Gesellschaft dem Thema objektiv öffnen. Nur so können Anreize geschaffen werden, dass zukünftig mit Fläche bestmöglich und gewissenhaft umgegangen wird", ist Studienautor Hannes Lindner von Standort+Markt überzeugt.
Photovoltaik, LED-Beleuchtung, begrünte Dächer: Handel & Retail-Immobilien sind Vorreiter
"Die Handelsimmobilienbranche beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit nachhaltiger Nutzung und dem energieeffizienten Betrieb von Malls. Es gibt zahlreiche beispielhafte Maßnahmen, welche die Shoppingcenter-Branche seit Jahren umsetzt und weiterentwickelt – von großflächigen Photovoltaikanlagen, kluger Nutzung von natürlichen Ressourcen, stromsparender LED-Umrüstung über die hochtechnologisch intelligente Klimatisierung bis hin zur verdichteten Bauweise oder begrünten Dachflächen", stellt Christoph Andexlinger für die Branche fest.
"Sowohl der heimische Lebensmittelhandel als auch der Non-Food-Handel setzen immer stärker auf nachhaltige, innovative Filialkonzepte. Dazu zählen etwa mehrgeschoßige Metropolfilialen mit geringem Flächenverbrauch in dicht verbauten Arealen, die Nachverdichtung von Geschäften mit großvolumigem Wohnbau oder auch Parkplätze mit Photovoltaik-Überdachung und E-Ladestationen", sagt Rainer Will.
Empfehlung an die Bundesregierung: Einbezug in Bodenstrategie und Modernisierung der Raumordnung(en)
Die große Herausforderung? Das Korsett der Raumordnung ist ein Vierteljahrhundert alt und Regelungen wie die Verkaufsflächenbeschränkung verhindern immer häufiger, dass Geschäftsbauten für den LEH überhaupt noch errichtet oder an die Erfordernisse der heutigen Zeit angepasst werden können. In zahlreichen Gemeinden in Tirol, Kärnten oder Niederösterreich werden dadurch de facto alle geeigneten Standorte rechtlich ausgeschlossen. Gewonnen ist damit jedoch nichts. Handelsbetriebe siedeln sich ungeachtet der Wünsche einer Raumordnung dann nicht im Ortszentrum an, wenn dies aus unterschiedlichen Gründen schlichtweg keinen Sinn macht.
"Handelsverband und ACSP fordern einen unbedingten Einbezug der Ergebnisse der Studie in die Bodenstrategie der Bundesregierung, da die neue Faktenlage die Basis für das politische Handeln sein muss. Der Föderalismus mit neun unterschiedlichen Raumordnungen ist in vielen Fällen ein Wettbewerbshindernis. Die Landesgesetzgeber verfolgen gleichartige Ziele, insbesondere die Erhaltung der Ortszentren und die Sicherung der Nahversorgung, jedoch mit teils erheblich divergierenden Konzepten. Der Handelsverband und das ACSP empfehlen daher eine maßvolle Reform, welche mit einer grundsätzlichen Einigung der Bundesländer auf zeitgemäße Standards und einheitliche Definitionen ihren Ausgang finden könnte", so Rainer Will und Christoph Andexlinger unisono.