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Südtirol schafft Raum(ordnung)

Lösung mit Vorbildfunktion? Zersiedelung, teures Bauland, explodierende Wohnkosten. Südtirol will nun mit dem neuen Landesgesetz „Raum und Landschaft“ diesen Gordischen Knoten endgültig lösen.
Harry Weber

Lösung mit Vorbildfunktion? Zersiedelung, teures Bauland, explodierende Wohnkosten. Südtirol will nun mit dem neuen Landesgesetz „Raum und Landschaft“ diesen Gordischen Knoten endgültig lösen.

Ausgerechnet das bürgerlich-konservative Südtirol setzte im September dieses Jahres mit einem ersten Rohentwurf des neuen Landesgesetzes „Raum und Landschaft“ einen weiteren radikalen Schritt. Ziel sei es, mehr Rechtssicherheit, einen umsichtigeren Umgang mit Grund und Boden, ein neues Verständnis von Landschaftsschutz sowie mehr Augenmerk auf schonende Mobilität zu schaffen. Das Gesetz geht gerade den vorgesehenen institutionellen Weg und soll noch vor dem Sommer kommenden Jahres zur Behandlung in den Südtiroler Landtag kommen.

Basisprinzip 60 zu 40

Während in Österreich Bauland für die nächsten hundert Jahre ausgewiesen ist, wovon aber nur ein Bruchteil zu leistbaren Preisen verfügbar ist, gibt es in Südtirol kaum ungenutztes Bauland. Dem Problem der explodierenden Wohn- und Grundstückspreise wurde bereits mit wirkungsvollen Maßnahmen begegnet. So lautet Südtirols Formel für den sozialen Wohnbau: 60 zu 40. Das bedeutet in der Praxis: Wer in Südtirol (gefördert) bauen will, muss sich mit Gleichgesinnten zu einer Genossenschaft zusammenschließen. Hat sich eine solche aus rund zehn bis fünfzehn bauwilligen Familien zusammengefunden, führt der Weg zur Gemeinde, um dort einen entsprechenden Flächenbedarf anzumelden. Die Gemeinde sucht nun unter Zuhilfenahme des zehnjährigen Bauleitplanes ein passendes Grundstück, wobei von Anfang an auf eine verdichtete Bauweise und das kompakte Erscheinungsbild der Ortschaft Rücksicht genommen wird. Zersiedelte Dörfer sind unerwünscht.

Die Gemeinde bittet nun den Besitzer des ausgewählten Grundstücks, es zu verkaufen. Die Grundbesitzer stimmen einem Verkauf fast immer zu im Wissen, dass sie einerseits auf eigenen Antrag kaum zu einer Umwidmung ihrer Fläche kommen, andererseits in letzter Konsequenz Enteignung drohen könnte.

Nun kommt es zum Kernpunkt der Südtiroler Raumordnung: Die Gemeinde widmet die entsprechende Fläche um. Dabei gehen automatisch 60 Prozent der Fläche ins Eigentum der Gemeinde über, die dem Grundbesitzer die Hälfte des Marktpreises zahlt. 40 Prozent des Baulands stehen dem bisherigen Grundbesitzer, der dort privat bauen oder den Grund zum Marktpreis verkaufen kann, zu. Die Gemeinde verkauft nun um ein Viertel des Marktpreises ihren 60 Prozent Anteil des Grundes an die Genossenschaftler, die dort nun unter strengen Vorgaben bauen können. Die Differenz auf den halbierten Grundstückspreis gleicht das Land im Zuge der Wohnbauförderung an die Gemeinde aus. Wird zehn Jahre lang nicht gebaut, widmet die Gemeinde automatisch in Grünland zurück.

Einfamilienhäuser

[caption id="attachment_10101" align="alignright" width="386"]© Fotolia © Fotolia[/caption]

Die hohen festgesetzten Mindestdichten für Bauflächen, ob gemeinnützig oder privat, verhindern den Bau von alleinstehenden Einfamilienhäusern auf der grünen Wiese weitgehend. Solche sind nur noch am freien Markt zu dementsprechend hohen Preisen erhältlich.

Mietwohnungen

Mietwohnungen baut in Südtirol hauptsächlich der Staat. Ein steuerfinanziertes Wohnbauinstitut errechnet den Bedarf der jeweiligen Gemeinden und erwirbt das Bauland ebenso wie die Genossenschaften um ein Viertel des üblichen Marktpreises von den Gemeinden. Dies ermöglicht den Bau günstiger Mietwohnungen ab 300 Euro Miete.

Leerstände

Wie in vielen anderen Ortschaften der Alpen nimmt auch in Südtirol die Landflucht zu. Speziell in kleinen Gemeinden stehen Gebäude leer und verfallen zunehmend in einen schlechten Zustand. Um die Eigentümer zur Instandhaltung zu zwingen, steht den Gemeinden im Bedarfsfall das Instrument einer Leerstandsteuer und im Extremfall sogar Enteignung zur Verfügung.

Problem Funktionstrennung

Ein Problem der gegenwärtigen Regelungen ist jedoch, dass die strikte Trennung von Wohnbau und Gewerbe vor allem bei kleinen Gewerbebetrieben, die sich nur in ausgewiesenen Gewerbezonen ansiedeln dürfen, zu unnötigen Anfahrtswegen und Verkehrsaufkommen führt. Dieser Punkt soll im neuen Gesetz 2017 wieder gelockert werden.

Das neue Gesetz 

Dass die Südtiroler schon immer viel Wert auf ein stimmiges Ortsbild legten und damit dem Tourismus Vorschub leisteten, ist an der Tatsache, dass es kaum Fachmarktzentren gibt, ersichtlich. Die gewaltigen Asphaltflächen mit den grell-bunten Gebäude-Klötzen, wie sie bei uns an beinahe jeder Ortseinfahrt zu finden sind, wurden vom Land Südtirol so gut wie nie genehmigt.

Das neue Landesgesetz „Raum und Landschaft“ soll nun noch strenger werden. Nach dem Prinzip „innen flexibel, außen penibel“ soll noch mehr Wert daraufgelegt werden, nur im definierten Ortskern zu bauen.

Dabei wollen die Südtiroler Landespolitiker die Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft berücksichtigen und zudem für mehr Rechtssicherheit, Bürgernähe sowie einen umsichtigeren Umgang mit Grund und Boden sorgen. Auch von einem neuen Verständnis von Landschaftsschutz und mehr Augenmerk auf schonende Mobilität ist die Rede. Dass dies nur gelingen kann, wenn die Bevölkerung dahintersteht, ist den Verantwortlichen bewusst. „Sonst nutzen uns die besten Gesetze nichts“, so der zuständige Raumordnungslandesrat von Südtirol, Richard Theiner. Nicht zuletzt aus diesem Grund sei die Einbindung der Bürger eine wichtige Säule des geplanten Gesetzes.

„Die Freiheit des Erwachsenen heißt Verantwortung.“ Mit diesem Zitat des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck begann Architekt Frank Weber, Amtsdirektor für Ortsplanung des Landes, anlässlich einer internationalen Fachtagung „ZukunftsRaum Südtirol. Impulse für eine neue Urbanistik“ seine Ausführungen. Auf die neue Raumordnung bezogen bedeute dies, der Gesetzgeber solle mehr Freiheit zulassen, die Bauherren und Planer diese Freiräume mit Verantwortung nutzen. Die Verwaltung solle sich mehr mit der Planung und Gestaltung des öffentlichen Raums und öffentlicher Vorhaben beschäftigen und weniger mit Detailvorschriften für privates Bauen.

Rechtssicherheit, Klarheit und Gemeinwohl

Die Basis der bisherigen Gesetze für Raumordnung und Landschaftsschutz stammt aus dem Jahr 1970 und wurde im Lauf der Jahre nicht weniger als 30 Mal angepasst. Der Wandel der Gesellschaft von einer Agrar- zu einer Dienstleistungs- und Produktionsgesellschaft, Bevölkerungswachstum und eine Verdoppelung der Anzahl der Wohnungen sind an dem ursprünglichen Gesetz nicht spurlos vorübergegangen. Die zahllosen Adaptionen haben das Gesetz über die Jahre unübersichtlich und kaum noch lesbar gemacht. Am Verwaltungsgericht Bozen dreht es sich heute bei vier von zehn Verfahren um Raumordnung und Bautätigkeit. Das neue Gesetz soll für klare Regeln sorgen, die sowohl der gesellschaftlichen, als auch der rechtlichen Entwicklung auf Staats- und EU-Ebene angepasst sind. Im Mittelpunkt von Raumplanung und Landschaftsschutz steht das Gemeinwohl, öffentliches Interesse hat Vorrang vor persönlichem.

Dialog mit den Bürgern

Ein weiteres, leitendes Prinzip stellt die verstärkte Einbindung der Bürger in den Entscheidungsprozess dar. Es geht darum, dass die Anliegen der Bürger im Gesetz verankert werden und sich die Verwaltungen danach richten, nicht umgekehrt. Die Baukommissionen, in Zukunft mit Experten und nicht mit Interessensvertretern besetzt, finden nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt, künftig gibt es ein Baugespräch mit dem Bauherren, der sein Projekt präsentieren kann. Entschieden wird im Dialog mit dem Bürger und nicht mehr über seinen Kopf hinweg.

Diese werden auch in Planungsverfahren einbezogen, wenn es darum geht Durchführungspläne für neue Zonen zu erarbeiten. Eine Einbindung der künftigen Nutzer, der Anrainer und Interessensvertretungen wird zwingend vorgeschrieben. Entscheidungen werden näher an den Bürger herangerückt, Gemeinden bekommen mehr Zuständigkeiten und größere Spielräume. Ebenso wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Raumordnung nicht an der Gemeindegrenze Halt macht. Es wird mehr Absprachen und Zusammenarbeit zwischen Nachbargemeinden geben, um Zonen und Mobilitätsflüsse gemeinsam zu regeln.

[caption id="attachment_10103" align="alignleft" width="333"]© Fotolia © Fotolia[/caption]

Umsichtiger Umgang mit Grund und Boden

Dieser Leitsatz ergibt sich aufgrund der knappen Verfügbarkeit dieser Ressource. Bestehendes hat Vorrang vor Neuem. Der Bedarf an neuen Zonen muss nicht nur nachgewiesen werden, es muss auch klargestellt sein, dass dieser Bedarf nicht in alten Zonen gedeckt werden kann. Um Zersiedelung zu vermeiden, müssen neue Zonen an bereits bestehende anschließen.

Alles ist Landschaft

Während es in den 1970er Jahren darum ging, besondere Landschaften zu schützen, hat sich der Schutzgedanke heute dahingehend verändert, dass die gesamte Umwelt schützenswert ist. Alles ist Landschaft und schützenswert, auch in Siedlungsnähe, damit die Menschen die Umwelt auch im Alltag genießen können. Mobilität wird erstmals konsequent übergemeindlich geplant, um möglichst geringen Mobilitätsbedarf entstehen zu lassen. Verkehrsströme sind so zu planen, dass die Mobilitätskonzepte nicht am Ortsschild enden. Mobilitätsbedürfnisse sind nachhaltig, umwelt- und landschaftsschonend zu befriedigen.

Echo

International fand das Südtiroler Modell schon lange Beachtung auf beiden Seiten des Brenners. Landtagsdelegationen aus Österreich veranstalteten Exkursionen, um sich nach Lösungen für ähnliche Aufgabenstellung und Probleme umzusehen. Auch Kritik ist reichlich vorhanden, das Wort „Enteignung“ steht vielerorts im Raum, wobei zu überlegen ist, ob eine Besteuerung auf Umwidmungsgewinne vom Resultat her einer solchen „Enteignung“ nicht gleichkommt, nur besser klingt. Was die effektiven Auswirkungen einer solchen Raumordnungspolitik angeht, hat Südtirol einen großen, sichtbaren Vorsprung. Wie es nun kommt, dass ein konservativ regiertes Land massive Eingriffe in das Eigentumsrecht toleriert, kann man wohl am ehesten mit den Worten Gemeinschaft, Verantwortung und Vernunft erklären. Den unbedingten Willen, wenn notwendig mit revolutionären Schritten ihre Ideen umzusetzen, hatten die Südtiroler ja schon immer, Andreas Hofer war einer.