Kleinwasserkraft ist vielfältig: Innovative Ansätze und ungenutzte Ressourcen könnten Österreichs Ökostromproduktion erheblich erhöhen
Anlässlich des Tags der Kleinwasserkraft stellt Kleinwasserkraft Österreich eine neue Erhebung vor, die das immense Potenzial für die Produktion von Ökostrom in Österreich hervorhebt. Der sogenannte Energieatlas zeigt, dass unter optimalen Bedingungen bis zu vierzehn Terawattstunden Ökostrom zusätzlich produziert werden könnten, wenn bestehende Potenziale wie Dämme, Wehre, Speicherteiche und umweltverträgliche Neubauten genutzt würden. Technische Innovationen wie Strombojen, die dort Alternativen bieten, wo aufgrund der Rahmenbedingungen energetische Nutzung mit herkömmlichen Wasserkraftwerken nicht möglich wäre – und potenzielle Neubauten beispielsweise von Kleinwasserkraftspeichern sind dabei eingerechnet. Zum Vergleich: Das würde der Stromproduktion von mehr als zehn Donaukraftwerken entsprechen.
„Der Tag der Kleinwasserkraft zeigt die Vielfalt der Kleinwasserkraft. Das Potenzial der Kleinwasserkraft ist enorm. Dank vieler Energiepioniere und -pionierinnen kann die Kleinwasserkraft heute bereits zehn Prozent des österreichischen Strombedarfs abdecken. Es wird aber zukünftig mehr Kraftanstrengungen für den Ausbau der Kleinwasserkraft brauchen, wenn die Klimakrise nicht zur Klimakatastrophe werden soll“, so Paul Ablinger, Geschäftsführer von Kleinwasserkraftwerk Österreich.
Energieatlas enthüllt ungenutzte Potenziale
Um die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen signifikant zu steigern und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, gilt es die unterschiedlichsten Potenziale zu nutzen. Am Tag der Kleinwasserkraft wurde von Wien bis Vorarlberg zur Potenzialschau geladen. Zu sehen gab es Lösungen und „Bestpractices“, wie die Wasserkraft-Schnecke auf der Donauinsel in Wien, die das Sickerwasser der Donau zur Stromerzeugung nutzt, das Revitalisierungsprojekt Kraftwerk Göriachbach in Salzbach, die Modernisierung bestehender Querbauten im Kraftwerk Rittmühle in Oberösterreich, die modernste Fischaufstiegshilfe im Kraftwerk Purgstall in Niederösterreich bis hin zur einhundertjährigen Geschichte der Kleinwasserkraft am Mühletorplatz in Vorarlberg. „Kleinwasserkraft ist seit jeher perfekt an die lokalen Bedürfnisse der Menschen angepasst. Diese Lösungskompetenz gilt es auszubauen“, so Ablinger.
Die von Kleinwasserkraft Österreich durchgeführte Potenzialerhebung weist ein Gesamtpotenzial von bis zu 14 Terawattstunden auf, die sich wie folgt verteilen:
Flussquerbauwerke als Stromlieferanten: Querbauwerke, wie Wehre, Dämme, Geschiebesperren und Sohlschwellen, kontrollieren oder regulieren den Wasserfluss. In Österreich gibt es insgesamt 71.000 solcher Querbauwerke. Die meisten, etwa 49.000, dienen ausschließlich dem Hochwasserschutz. Rund zwei Prozent, also 1.267 Querbauten, können einfach und rasch zur Kleinwasserkraftnutzung umgebaut werden. Die ökologische Gesamtsituation der Gewässer verbessert sich dabei sogar. Durch diese Modernisierungsmaßnahmen könnten jährlich rund 1,2 Terawattstunden gewonnen werden.
Speicherteiche liefern Ökostrom: Der Energieatlas zeigt enormes Potenzial für Speicherteiche, die für die Kunstschnee-Produktion angelegt wurden: 302 der 504 bestehenden Speicherteiche könnten in Österreich weitere 9,16 Terawattstunden Ökostrom liefern. Dies könnte Photovoltaik-Strom „Überkapazitäten“ speichern und die Stromnetze entlasten.
Strombojen: Eine Stromboje erreicht eine Engpassleistung von 70 kW und weist je nach Standortqualität ein Regelarbeitsvermögen von bis zu 300.000 kWh/a auf. Bei einer geschätzten Inbetriebnahme von ca. 500 Strombojen in Österreich (Donau, Inn, Mur,...) errechnet sich eine zusätzliche Engpassleistung von 35.000 kW, bzw. 140 GWh pro Jahr. Davon könnten bis zu 125 GWh Strom alleine in der Wachauer Donau erzeugt werden. Die Erfinder der Strombojen gehen in Österreich sogar von einer möglichen Produktion von 2 TWh pro Jahr aus.
Neubau Kleinwasserkraftspeicher: Energiespeichersysteme nehmen im Zuge des weltweiten Übergangs zu einer nachhaltigen Energiezukunft und der Dezentralisierung der Energiegewinnung eine entscheidende Rolle ein. Innovationen bei Energiespeichersystemen können dazu beitragen, Treibhausgasemissionen zu reduzieren sowie die Netzstabilität und -zuverlässigkeit zu verbessern. Speicherkraftwerke bieten dem österreichischen Stromsystem Flexibilität und Stabilität auf verschiedenen zeitlichen Skalen, von kurzfristigen Systemdienstleistungen bis hin zum saisonalen Ausgleich der Stromerzeugung. Das Potenzial im Neubau beträgt gemäß aktualisierten Daten knapp 1 TWh pro Jahr.
Revitalisierungen: Durch die Modernisierung aller Kleinwasserkraftwerke könnte eine jährliche Produktionssteigerung von 0,7 bis 1,07 TWh Strom erzielt werden. Diese Annahme beruht auf der Abschätzung der Leistungssteigerung von 141 Revitalisierungsberichten der letzten zehn Jahre in der Steiermark, Niederösterreich, Kärnten und aus den erhobenen Zahlen des Beratungs-Programm der Kleinwasserkraft.
Sickerwasserkraftwerk: Wasserkraft-Schnecke, Donauinsel Wien
Durch den Aufstau der Donau beim Kraftwerk Freudenau ergibt sich zwischen Donau und Neuer Donau eine deutliche Differenz der Wasserspiegel. Dieser Höhenunterschied von rund vier Metern verursacht einen Grund- und Sickerwasserzustrom aus der Donau in die Neue Donau, der wiederum über die Wehranlagen - bisher ungenutzt - abgeführt wird.
Die Kraftwerksanlage nutzt das bestehende Energiepotenzial aus dem unterschiedlichen Gefälle der beiden Gewässer und erzeugt daraus umweltfreundlichen Strom
Die Anlage produziert jährlich 400.000 Kilowattstunden Strom und versorgt damit 130 Wiener Haushalte. Die Anlage besteht aus einer unterirdischen Wasserzuleitung, einem kleinen Krafthaus mit einer 15 Meter langen Wasserkraftschnecke und einem 60 Meter langen Ableitungstunnel. Der Einbau erfolgte direkt neben der bestehenden Wehranlage 1.
Behördenverfahren zu lange, Finanzierung ungewiss
Trotz der Notwendigkeit des im Erneuerbaren Ausbaugesetz (EAG) festgeschriebenen Wasserkraftausbaus fehlt für Kleinwasserkraft-Projekte die Planungs- und Finanzierungssicherheit. „Die Verfahrensdauer für neue Projekte ist völlig unberechenbar; die wirtschaftliche Planbarkeit entbehrt der Logik der unternehmerischen und kaufmännischen Sorgfaltspflicht“, so Ablinger. Das hat dazu geführt, dass der Ausbau der Kleinwasserkraft im letzten Jahr rund 40 Prozent eingebrochen ist – und das, obwohl die Renewable Energy Directive III der europäischen Union, kurz RED III, den Gesetzgeber zur Einführung von Beschleunigungsgebieten verpflichtet hat. Das überragende öffentliche Interesse von Kleinwasserkraft ist auf EU-Ebene beschlossen.
„Die rasche Umsetzung der RED III Richtlinie ist entscheidend, wenn der Ausbau erneuerbarer Energien gelingen soll. Es gilt das Potenzial von bis zu 14 Terawattstunden zu erschließen“, so Ablinger abschließend.