Neom: Der 26.000 Quadratkilometer große Wüsten-Stadtstaat der Superlative auf der nordwestlichen Arabischen Halbinsel wurde bereits zum Teil umgesetzt, 2024 sollen die ersten Teile besichtigt werden können. Dieses Mega-Bauvorhaben, das Hochtechnologie und Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Attraktivität, Tourismus und Investitionen verbinden soll, wird um das nächste Projekt erweitert: Eine 200 Meter breite und 500 Meter hohe Doppelmauer aus hypervernetzten Gemeinden, ohne Autos oder Straßen. Dieses Konzept einer nachhaltigen „Urban Living Revolution“ für neun Millionen Menschen wurde als Lösungsansatz für einige der drängendsten Herausforderungen konzipiert, vor denen die Menschheit heute steht: Klimawandel, Umweltverschmutzung, Verkehrsstaus an jeder Ecke und veraltete Infrastruktur.
Die Hightech-Fassade fügt sich scheinbar nahtlos in die weitgehend unberührte Wüsten- und Küstenlandschaft ein. „The Line“ besteht im Wesentlichen aus zwei langen, einander gegenüberliegenden Hochhausblöcken. Zwischen ihnen befindet sich ein offener Raum, der sogenannte „Canyon“. Bildungs- und Freizeitangebote wie Arbeitsplätze, Universitäten, Fußballstadien, Theater und Bibliotheken werden in diese Struktur integriert. Damit kommt die Smart City mit lediglich 34 Quadratkilometern Grundfläche aus. Nach Angaben der Planer sind es nur zwei Prozent der Fläche, die sonst für eine traditionelle Stadt mit neun Millionen Einwohnern benötigt wird. Zudem soll es die erste Stadt der Welt werden, die keinen CO2-Fußabdruck hat und vollständig mit erneuerbarer Energie betrieben wird.
Emissionen reduzieren und mehr Natur integrieren
Der Masterplan des US-amerikanischen Architekturbüros Morphosis besagt, dass die höhere Dichte von „The Line“ die Transportemissionen reduzieren und die Zerstörung der Natur verringern wird. Zusammen mit dem üppigen Grün im Inneren möchte „The Line“ eine nachhaltige Alternative zu traditionellen Städten werden. Das vertikale Design der Stadtgemeinschaft soll die traditionelle horizontale Struktur von Städten infrage stellen und ein völlig neues Modell für den Naturschutz und die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen schaffen.
Kompakte Struktur
Grundsätzlich ist das Konzept der linearen Städte nicht neu. Ein ähnlicher Vorschlag wurde bereits 1882 vom Stadtplaner Arturo Soria y Mata mit seiner „Bandstadt“ vorgelegt, allerdings in viel kleinerem Maßstab. Bis dato scheiterten jedoch alle Konzepte, die eine lineare Stadtstruktur vorsahen, über die Entwurfsphase hinaus. Die Idee hinter diesem eindimensionalen Konzept ist immer dieselbe: Extreme Kompaktheit der Strukturen und integrierte Transportsysteme können die Effizienz von Großstädten deutlich steigern.
Ziel der CO₂-Neutralität
„The Line“ soll zu 100 Prozent mit „sauberer Energie“ betrieben werden. Mit der gesamten Neom-Zone will sich der weltweit größte Ölexporteur Saudi Arabien wirtschaftlich breiter aufstellen. Das gesamte Neom-Gebiet um „The Line“ umfasst mehrere Zonen wie Industrie- und Logistikzentren. Die Planer gehen davon aus, dass in den dichten Strukturen die derzeit problematische CO₂-Bilanz minimiert werden kann. Laut der saudischen Regierung will sie ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen setzen und ein innovatives CO₂-neutrales Stadtmodell aufbauen. Dafür setzt der Wüstenstaat nicht nur auf Photovoltaik, sondern auch auf Windkraft. 1,4 Millionen Tonnen an Komponenten für Windkraftanlagen sollen bis 2025 importiert werden. Mit beiden Ressourcen soll eine Gesamtleistung von vier Gigawatt erreicht werden, Batteriespeicher werden einen Betrieb rund um die Uhr gewährleisten. An der Küste wird die Industrie- und Hafenstadt "Oxagon" mit vorgelagerten schwimmenden Strukturen errichtet, eine Anlage für grünen Wasserstoff mit 2,2 Gigawatt Leistung. Die Produktion soll 2026 starten.
Mobilität
Es gibt keine Autos, keine Straßen und keine Kohlendioxidemissionen. Dennoch können die Bewohner von „The Line“ mit der Hochgeschwindigkeits-Metro in nur 20 Minuten von einem Ende der Stadt zum anderen gelangen. Das Leben in dieser Millionenstadt wird also fußgängerfreundlich. Alles Notwendige des täglichen Lebens, darunter Schulen, Kliniken, Freizeiteinrichtungen und Grünflächen, ist innerhalb von fünf Gehminuten erreichbar. Wenn die Bewohner Transport benötigen, stehen unterirdische ultraschnelle Transport- und autonome Mobilitätslösungen bereit. Auf diese Weise bleiben 95 Prozent der derzeit vorhandenen Natur erhalten, die zudem von jedem Punkt der Stadt sofort zugänglich ist. Wem es im „Canyon“ zu eng ist, der kann in der Wüste spazieren gehen.
Mit Künstlicher Intelligenz (KI) wird darauf abgezielt, die kommunikativ vernetzten Communitys von „The Line“ in „selbstlernende Communitys“ zu verwandeln. So schätzen die Neom-Entwickler, dass 90 Prozent der verfügbaren Daten zur kontinuierlichen Verbesserung der Infrastruktur verwendet werden. Auch für die autonom betriebenen Fahrzeuge, U-Bahnen und Hochgeschwindigkeitsgütertransporte wird KI eingesetzt.
Trotz der gewaltigen Dimension ist dieses riesige Projekt keine Utopie, denn es kann aufgrund der Finanzkraft von Saudi Arabien mit oder ohne ausländische Investoren umgesetzt werden. Mit Stand Oktober 2023 wurden Aufträge für 30 Milliarden US-Dollar vergeben, aktuell sind Projekte im Umfang von 5,1 Milliarden Dollar ausgeschrieben.
Zur Autorin:
Jasmin Soravia ist seit 2019 Vorsitzende des Urban Land Institut Austria. Sie ist Geschäftsführerin bei der Kollitsch & Soravia Immobilien, Beirat im Advisory Board GRÜNSTATTGRAU und Vorstand beim Travel Industry Club Austria.