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Von der Wiege bis zur Wiege

Kreislaufwirtschaft. Auf Einladung von Drees & Sommer und ImmoFokus hielt Prof. Michael Braungart, der Mastermind hinter der „Cradle to Cradle“-Idee, der heimischen Bau- und Immobilienindustrie einen Spiegel vor. „Es geht nicht darum, eine Welt ohne Abfall zu schaffen, sondern darum, den Abfall nutzbar zu machen!“
Stefan Wernhart

Kreislaufwirtschaft. Auf Einladung von Drees & Sommer und ImmoFokus hielt Prof. Michael Braungart, der Mastermind hinter der „Cradle to Cradle“-Idee, der heimischen Bau- und Immobilienindustrie einen Spiegel vor. „Es geht nicht darum, eine Welt ohne Abfall zu schaffen, sondern darum, den Abfall nutzbar zu machen!“

Seit geraumer Zeit befindet sich die westliche Wirtschaftspolitik in einer ständigen Ideologiekrise. Grund dafür ist ein andauernder moralischer Konflikt zwischen Profitmaximierung und einem gesunden ökologischen Fußabdruck. Zwei Faktoren, welche, wie die meisten glauben, nicht nebeneinander funktionieren können. Hohe Produktionsraten sind für Anbieter untrennbar verbunden mit einem umweltschädlichen Maß an Materialverbrauch, genauso ist ein hoher Güterverbrauch  untrennbar verbunden mit einer horrenden Abfallmenge und Plastikinseln im Pazifik. Wie kann also eine zukünftige kapitalistische Marktwirtschaft, die auf Konkurrenz aufbaut, funktionieren, wenn wir sie in ihren Prinzipien blockieren?

Diesem Dilemma hat Braungart vor einigen Jahren den Kampf angesagt. Bei seinen Studien an der Rotterdam School of Management belegt er, dass Nachhaltigkeit ökonomisch sinnvoll sein kann. „Ein deutsches Solarmodul hat im Durchschnitt nach 19 Jahren noch 93 Prozent seines ursprünglichen Wirkungsgrades. Ein chinesisches Produkt verliert im Schnitt nach 5 Jahren bereits die Hälfte seiner Effizienz“, erklärt Professor Michael Braungart, während er ins Publikum schmunzelt: „Hersteller haben oft zu wenig Phantasie. Wenn ich kein Solarmodul verkaufe, sondern 20-Jahre-effizientes-Licht-Einfangen, dann stellt sich die Frage beim Käufer, nach welchem Produkt er greift, nicht.“

Die Idee hinter „Cradle to Cradle“ ist, die Kreislaufwirtschaft so zu perfektionieren, dass sie die Marktwirtschaft nicht einschränkt. „Schützen der Umwelt durch weniger Verbrauch ist nicht Umweltschutz, sondern nur weniger Zerstörung“, lautet Braungarts vernichtendes Urteil: „Wenn ich Ihnen sage, schlagen sie Ihr Kind nicht zehn, sondern fünf Mal, dann würden Sie mich für verrückt halten!“

Wenn Gebrauchsgüter nach ihrer Nutzung mit maximaler Effizienz in ihre Ausgangsstoffe zerlegt und danach wieder in den technischen Kreislauf zurückgeführt werden, so sind Produktionsraten oder ein hoher Güterverbrauch kein Thema mehr. Müll im heutigen Sinne gibt es nicht mehr, sondern nur noch nutzbare Nährstoffe. „Es geht nicht darum, eine Welt ohne Abfall zu schaffen, sondern darum, den Abfall nutzbar zu machen!“ So zumindest die Theorie.

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„Wir beschäftigen uns ständig mit den Themen Autos, Schiffs- und Flugverkehr, dabei verbringen wir 90 Prozent unserer Zeit in Gebäuden“, resümiert Alexander Riemer, Head of Product Management Aluminium Systems bei AluKönigStahl, „und diese Gebäude sind für 40 Prozent des weltweiten Material- und Energieverbrauchs verantwortlich.“ Um ein marktweites System einzuführen, in dem Baumaterialien ideal in einem Kreislauf aus Produktion, Verbrauch, Demontage und Wiederverwertung zirkulieren, müssen diese Werkstoffe absolut frei von Schadstoffen sein. Davon muss allerdings auch der nächste Nutzer überzeugt sein.

„Wir brauchen Zertifikate und Listen von verbotenen Materialien“, meint Riemer und verweist damit auf den Konzern Schüco, der 2017 komplett auf ein C2C umsteigen möchte. „Verantwortung für ein Produkt kann natürlich nicht beim Endproduzenten beginnen, sondern sie muss viel früher greifen. Hier profitiert allerdings nicht nur die Umwelt, sondern auch massiv die Qualität unserer Produkte.“

Peter Mösle, 2010 Geschäftsführer für den Bereich Energiedesign/Green Building bei Drees & Sommer in Stuttgart, skizziert die Idee, in Zukunft Gebäude auch als Rohstoffdepots betrachten zu können. Diese würden zur flexiblen Wertanlage werden. In der Theorie wäre es sogar möglich, Gebäude nach Belieben umzufunktionieren, ohne dabei Rohstoffe zu vergeuden.

„In Deutschland beträgt die durchschnittliche Mietvertragsdauer 5,7 Jahre, wenn der neue Mieter reinkommt, wirft er den alten Innenausbau wieder hinaus. Was für eine Materialverschwendung“, greift sich Mösle an den Kopf. „Wenn wir das Material leasen würden, dann hätten wir erstens eine neue Marktlücke zu erobern und zweitens würden wir wesentlich nachhaltiger mit Rohstoffen und unserem Kapital umgehen.“ Man gehe selbst mit gutem Beispiel voran: „Wir haben zwar etwas länger gebraucht, aber im Prinzip ist unser gesamtes Headquarter in Stuttgart heute wiederverwertbar“, erzählt Mösle.

Um ähnliche Projekte auch im großen Stil umsetzen zu können, wird man in Zukunft verstärkt auf vereinheitlichte Baustücke setzen müssen. Diese müssten zertifiziert und vor allem auf eine längere Haltbarkeit ausgelegt sein. Den Beweis, dass so ein System auch im großen Stil funktioniert, lieferte im Jahr 2011 die Reederei Maersk. Der auf Containerschiffe spezialisierte Schiffsbauer konstruierte seine gesamte „Triple-E-Reihe“ nach C2C. Die Flotte aus 31 Schiffen, welche zu den größten ihrer Art gehören, ist komplett wiederverwertbar. Jedes einzelne Bauteil wurde so konstruiert, dass es problemlos einem Schiff entnommen werden kann, um in einem Schwesternschiff verbaut zu werden.


Professor Dr.Michael Braungart

drees-sommer-_-cradle-to-cradle-_-021Braungart ist Geschäftsführer von EPEA Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg, Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter von McDonough Braungart Design Chemistry (MBDC) in Charlottesville, Virginia (USA), und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts (HUI). Braungart studierte Chemie und Verfahrenstechnik unter anderem in Konstanz und Darmstadt. In den 80er Jahren engagierte er sich bei der Umweltorganisation Greenpeace und baute dort ab 1982 den Bereich Chemie mit auf. 1985 übernahm er die Leitung der Abteilung und promovierte im gleichen Jahr an der Universität Hannover im Fachbereich Chemie. EPEA gründete er 1987. Seitdem ist er mit der Forschung und Beratung für öko-effektive Produkte befasst.

Er leitet den Cradle to Cradle-Lehrstuhl für Innovation und Qualität an der Rotterdam School of Management der Erasmus Universität (RSM) und ist Professor an der Leuphana Universität Lüneburg und an der TU Delft. Im Rahmen der Exzellenzinitiative ist er Ehrenprofessor der TU München.