Täglich werden neue Bilder von unterschiedlichen Kriegsschauplätzen in unsere Haushalte gespült, die alles Mögliche zeigen, nur nicht den Krieg wie er wirklich ist. Im Wesentlichen werden uns zerstörte Gebäude und kaputte Infrastruktur präsentiert. Die Frage nach dem Warum kann seit 50 Jahren nicht zufriedenstellend beantwortet werden ... womit sich die Frage auftut: Wer kann sich so einen Krieg überhaupt leisten?
Die Mutter allen Ungemachs ist die einfache Gewehrkugel, die kostet etwa einen Euro pro Stück. Allerdings können moderne Sturmgewehre 12 Stück davon in einer einzelnen Sekunde abfeuern. Daher werden Millionen davon verbraucht, was aber immer noch eine vernachlässigbare Größe darstellt, wenn man sich vor Augen führt, daß ein Projektil für einen Panzer etwa 10.000 Euro kostet. Wie lange müssen Sie für eine Panzerpatrone arbeiten, die im Bruchteil einer Sekunde abgeschossen wird? Ähnlich teuer ist die Füllung für einen Raketenwerfer, etwa 10.000 US-Dollar. Davon braucht es allerdings 12 Stück, macht dann 120.000 Dollar, die in einer Minute abgeschossen werden. Wahnsinn braucht Struktur. Im letzten Golfkrieg wurden davon etwa 10.000 Stück verbraucht, und der hat nur 8 Monate gedauert.
Richtig teuer wird es, wenn es um Marschflugkörper geht, in der medialen Berichterstattung gerne als Rakete bezeichnet. Ein solcher kostet zwischen ein und drei Millionen Euro, je nach Elektronik und Sprengsatz. Das Ding ist mit 5 Metern Länge nicht größer als ein Mittelklassewagen. Beim Angriff des Iran auf Israel wurden etwa 350 davon verbraucht. Noch teurer als die Verwendung ist jedoch die Abwehr derselben. Die Patriot Marschflugkörper des, nun auch für Europa vorgesehenen, Sky-Shield kosten auch zwischen ein und zwei Millionen Euro pro Stück. Die Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel hat daher angeblich auch eine Milliarde Dollar gekostet. Man muß also einen Marschflugkörper um 2 Millionen in den Himmel schicken um eine Angriffsrakete im Wert von ebenfalls 2 Millionen zu pulverisieren. Bin ich der Einzige dem das sinnlos erscheint?
Das sind jedoch nur jene Kriegsbestandteile, die sich dematerialisieren. Zusätzlich erforderlich ist noch jede Menge an Hardware, unzählige Gewehre, Granatwerfer, Panzer, Raketenwerfer, so etwas kostet auch gleich einmal 5 Millionen pro Stück und die Ukraine hat 500 davon, Flugzeuge – eine F16 gibt’s schon ab 30 Millionen Dollar. Kurz gesagt, niemand weiß vorher und währenddessen wieviel die Kriegsführung kosten wird, zuerst wird geballert, und erst danach zusammengerechnet. Nach Angaben des US-Verteidigungsminsteriums hat Rußland bis heute etwa 200 Milliarden für die direkte Kriegsführung ausgegeben, unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Nachteile gehen die Schätzungen sogar von 1300 Milliarden bis Ende 2026 aus.
Das waren die Kosten zum Kaputtmachen, viel teurer ist aber das Wiedergutmachen.
Kenneth Rogoff, Professor in Harvard, hat mit einem Team bereits im April 2022 eine erste Einschätzung über die Kosten des Wiederaufbaues publiziert (aus der Serie Rapid Response Economics vom Center for Economic Policy Research kurz CEPR). Diese baut auf Erfahrungen aus den Kosten für Wiederaufbau der Nachkriegszeit (z.B. dem Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg, der Wiedervereinigung Deutschlands und des Wiederaufbaus des Irak) sowie dem Wiederaufbau nach Naturkatastrophen auf. Diese erste Schätzung nach etwas mehr als einem Monat Krieg belief sich auf etwa 200 bis 500 Milliarden Euro. In einer weiteren Publikation, veröffentlicht im Standard Mitte 2023, kam er zu dem Entschluss, daß sich diese Summen mittlerweile verdoppelt hätten.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die erste Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Lugano im Juli 2022, die Schätzung dort betrug etwa 750 Milliarden.
Laut einem im Februar 2024 veröffentlichten Bericht der Organisation Human Rights Watch wurden in Mariupol (seinerzeit 425.000 Einwohner) alle 19 Krankenhäuser, 86 der 89 Bildungseinrichtungen und 93 % der mehrstöckigen Wohngebäude im Zentrum der Stadt zerstört. Der Bericht basiert auf 3D-Rekonstruktionen aus Luftbildern und räumlichen Analysen, zusätzlich wurden 240 Personen befragt (meist vertriebene Mariupol-Bewohner), sowie Dutzende von Satellitenbildern und über 850 Fotos und Videos ausgewertet.
Human Rights Watch konzentrierte seine Schadensbewertung auf etwa 14 Quadratkilometer des Stadtzentrums. Die Bewertung ergab, dass das Gebiet etwa 9.000 Gebäude enthielt und dass 4.884 von ihnen oder 54 Prozent beschädigt wurden. Dazu gehörten 93% der 477 mehrgeschossigen Gebäude und 2.673 der 5.673 eingeschossigen Wohnhäuser.
Quelle: human rights watch
Die Situation in den Städten Tschernihiw (Bevölkerung 290.000) und Charkiw (1.400.000 Einwohner) ist ähnlich, auch dort sind bereits über 50% der Gebäude zerstört.
Um das Ausmaß der Zerstörung greifbar zu machen, hat auch das Tagesspiegel Innovation Lab Satellitendaten und Luftbilder dreier ukrainischer Städte ausgewertet und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis für Mariupol, Sjewjerodonezk und Bachmut. Auf der homepage des Tagesspiegel kann jedermann selbst mittels eines Schiebereglers über einem vorher/nachher Luftbild nachvollziehen wie stark die Zerstörungen in den Städten tatsächlich sind. Um die beschädigten Gebäude zu ermitteln, haben die Analysten Radar-Satellitendaten von vor und nach den Kampfhandlungen ausgewertet. Um zu erkennen, welche Veränderungen davon Gebäudeschäden sind, wurden die Daten automatisiert mit Gebäudeumrissen abgeglichen. Während also Human Rights Watch einen manuelleren Ansatz gewählt hat, ist das Modell des Tagesspiegel stärker automatisiert.
Gebäudegenau lässt sich so zeigen, wie stark die Zerstörungen sind. Dieses Modell ergibt derzeit jedoch nur eine Genauigkeit von rund 80 Prozent. Es kann sein, dass kleinere Schäden übersehen oder intakte Häuser neben zerstörten fälschlicherweise als beschädigt erkannt werden. Es handelt sich daher um eine eher konservative Schätzung.
Im Fall von Mariupol etwa geht die UN von deutlich höheren Zahlen aus: 90 Prozent der mehrstöckigen und 60 Prozent der kleineren Wohnhäuser Mariupols seien zerstört. In Sjewjerodonezk lebten etwa 100.000 Menschen, jetzt sind es nur noch sehr wenige, Schätzungen gehen von 10.000 aus. 36 Prozent der Gebäude sind der experimentellen Analyse zufolge zerstört.
Bachmut war eine Stadt mit 70.000 Einwohnern, zuletzt lebten nur noch rund 500 Menschen in der Stadt 66 Prozent aller Gebäude sind beschädigt, kaum ein Bereich der Stadt ist noch intakt.
Quelle: Tagesspiegel
Insgesamt sind die Schätzungen sowohl der Zerstörungen als auch der Wiederaufbaukosten nur rudimentär erfasst, was an einigen Beispielen deutlich wird:
Die KSE (Kiew School of Economics) betreibt ein konstantes Monitoring, was den Grad der Zerstörungen betrifft. Diese weist mit Stand Februar 2024 etwa 250.000 zerstörte Häuser aus. Die Weltbank hingegen ermittelte etwa 2.000.000 unbewohnbare Häuser, also etwa 10% des gesamten Bestandes in der Ukraine. In der Statistik macht es eben einen Unterschied, ob ein Haus gänzlich zerstört oder unbewohnbar ist, für die Ermittlung der Kosten wird das aber unerheblich sein. Auch die lediglich unbewohnbaren Häuser werden erhebliche Kosten für die Wiederbrauchbarmachung verursachen. Großteils wird die Statik beeinträchtigt sein, und die Kosten für die Sanierung werden ebenso hoch sein wie die zur Neuherstellung.
Die KSE, als auch die Weltbank weisen etwa 9.000 Kilometer an Straßen aus, welche mittlerweile nicht benutzbar sind. Die staatliche „Agentur für Straßenwesen“ in der Ukraine (Ukrawtodor) beziffert die Verluste jedoch mit etwa 24.000 Kilometer, davon 9.000 Kilometer in staatlichem Besitz. Die etwa 15.000 Kilometer an privaten Straßen sind ebenso zerstört, werden schwerer zu erfassen sein, aber dennoch erhebliche Mittel zur Sanierung benötigen.
Doch auch im Bewusstsein der Unschärfen sind die Zahlen, welche zuletzt von der KSE ausgewiesen wurden beängstigend:
Skepsis ist auch für die Höhe der Kosten im Energiesektor angebracht: Diese werden von der KSE mit etwa 9 Milliarden ausgewiesen. Das mag den Schaden an den zerstörten alten Einheiten beziffern, jedoch keinesfalls für die Wiederherstellung ausreichen: Saporischja ist das größte Kernkraftwerk Europas mit 6 Reaktoren und einer Leistung von 5,7 Gigawatt. Ein kleiner Reaktor wie Zwentendorf mit etwa 700 Megawatt würde im Falle der Neuerrichtung heute etwa 3,5 Milliarden kosten. Umgelegt auf Saporischja bedeutet dies Kosten von etwa 20 Milliarden.
Fazit: Alles, was derzeit an Kosten für den Wiederaufbau ausgewiesen wird, wird deutlich übertroffen werden.
Auch die Weltbank registriert und schätzt die Kosten für den Wiederaufbau bereits seit Kriegsbeginn. Im aktuellen und dritten Bericht RDNA3 (Rapid Damage and Needs Assessment) werden auf 180 Seiten nach detailierten Analysen die gesamten Kosten für den Wiederaufbau mit Stand Jänner 2024 mit etwa 650 Milliarden US-Dollar ausgewiesen, gegliedert in fachlicher und regionaler Ausdehnung.
Auf den Sektor Wohnbau entfallen Kosten von etwa 152 Milliarden US-Dollar, basierend auf einem Anteil von 10% des Wohnungsbestands also etwa 2 Millionen Häusern.
Wie plausibel diese Schätzung ist lässt sich leicht überprüfen, und damit sind wir schon tief in der Bewertung: Bei den 2.000.000 Häusern ist von der einfachen Datscha bis zum Mehrfamilienhaus alles dabei. Daher wird es sich nach unserer Schätzung um eine gesamte Nutzfläche von zirka 180 Millionen Quadratmetern Nutzfläche handeln. Die Herstellkosten im mehrgeschossigen Wohnbau können anhand des Baukosteninformationssystems (BKI) für Deutschland und Österreich mit 2.700 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche angesetzt werden. Der Regionalfaktor für die Ukraine liegt bei etwa 0,3 das macht dann 900 Euro pro Quadratmeter und in Summe 162 Milliarden Euro. Die Kosten sind demnach plausibel und glaubwürdig, wenn auch sehr konservativ geschätzt, jedenfalls was das Bauwesen betrifft.
Während die Kosten für den modernen Wiederaufbau eine Angelegenheit der internationalen Hilfe sein werden, so sind die Regularien für die Wiedergutmachung fast ein Jahrhundert alt:
Die Entschädigung durch den internationalen Gerichtshof wird definiert als: „Die Wiedergutmachung so weit wie möglich alle Folgen der rechtswidrigen Handlung beseitigen und den Zustand wiederherstellen soll, der aller Wahrscheinlichkeit nach bestanden hätte, wenn die rechtswidrige Handlung nicht begangen worden wäre.“ (Deutschland/Polen 1928). Es bleibt abzuwarten, ob man dem Verursacher die Rechnung tatsächlich wird schicken können…
Die ukrainischen Behörden schätzen, dass das Land allein im Jahr 2024 rund 15 Milliarden US-Dollar für unmittelbare Wiederaufbau- und Sanierungsaktivitäten benötigt, wobei der Schwerpunkt neben der Wiederherstellung von Wohnraum, auf Infrastruktur, Energie und Transport liegt. Im RDNA3 wird auch klargestellt, daß trotz internationaler Unterstützung davon etwa 9,5 Milliarden USD derzeit noch nicht finanziert sind. Und das sind Kosten die womöglich frustrierten Aufwand darstellen, weil die Kriegshandlungen weiter andauern.
Um die verursachten Schäden zu bewerten hat die Tegova (The European Group of Valuers’ Associations) die Ukraine unterstützt. Bei der Tegova handelt es sich um einen europaweiten Zusammenschluss der Verbände der Immobilienbewerter, bestehend aus etwa 70.000 Bewertern in 38 Ländern.Die Tegova hat bereits im Dezember 2022 die Ukraine unterstützt, ein international anerkanntes Bewertungssystem einzuführen, das auf den Zustand kurz vor der Invasion basiert.
Bewertet werden also jeweils jene Zerstörungen, welche durch Kriegshandlungen verursacht wurden.
Zu beachten ist, daß, ähnlich wie bei anderen Entschädigungen, jeweils nur der feststellbare Schaden als Zeitwert ermittelt wird. Während die Feststellung des Schadens auf Basis der seinerzeitigen Baustandards erfolgt, so werden die Kosten für den Wiederaufbau wohl auf den dann in der EU geltenden weitaus strikteren Standards erfolgen müssen. Die Diskrepanz der Schadenhöhe in Relation zu den Wiederherstellkosten ist offensichtlich - und enorm.
Und auch ein Aspekt darf nicht übersehen werden: Derzeit sind etwa 174.000km² (eine Fläche doppelt so groß wie Österreich) mit Explosivmaterial (Minen und ähnliches) kontaminiert, alleine hierfür sind laut RDNA3 etwa 35 Milliarden US-Dollar und eine Zeitspanne von 10 Jahren für die Sanierung erforderlich.
Wer soll das bezahlen?
Das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine beträgt derzeit nur etwa 74% von jenem vor dem Krieg, und das war schon nicht berauschend. Die Ukraine hatte mit etwa 40 Millionen Einwohnern ein Bruttoinlandsprodukt von etwa 200 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich, Österreich hat mit 9 Millionen Einwohnern etwa 470 Milliarden, also etwa zehnmal so viel. Wie soll sich ein Land mit einem BIP von 200 Milliarden einen Wideraufbau von zumindest 650 Milliarden leisten können?
Ein Ausweg, zumindest was den Wohnbau betrifft, könnte sein, nach österreichischem Vorbild, einen ukrainischen Gemeinnützigensektor zu etablieren, erklärt Wohnbauforscher Wolfgang Amann. Dazu wurde von Amanns Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW) im Auftrag des Umweltministeriums und Vertretern aus Kiew (NHP – New Housing Policy) sowie dem RMIT (Royal Melbourne Institute of Technology) ein entsprechender Bericht erarbeitet. Dieser ergibt, daß bei ähnlichen Rahmenbedingungen wie in Österreich, für eine typische WGG Wohnung mit etwa 60m² Nutzfläche eine Bruttomiete von € 240,-/Monat realisierbar erscheint. Das sind – ja nach Region – immer noch zwischen 50% und 80% der Durchschnittslöhne. Da die rechtlichen Grundlagen dafür in der Ukraine noch nicht vorhanden sind wurde das österreichische Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG), auf das Wesentliche reduziert und enthält jetzt auf sechs Seiten die allerwichtigsten Bestimmungen. Wer das Gesetz in seinen auswuchernden Elementen kennt, weiß was das bedeutet.
Der Europäischen Investitionsbank, die einen erheblichen Beitrag zum Aufbau leisten wird, ist jedenfalls aus korruptionspräventiven Gründen stark daran gelegen diesen Sektor bei den Gebietskörperschaften zu verankern.
Das Schlimme am Krieg jedoch sind nicht die Kosten für Raketen und auch nicht die zerstörten Gebäude, sondern das Leiden der Menschen, welches uns durch die mediale Weichspülung großteils verborgen bleibt. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar von Ingeborg Bachmann gilt schon lange nicht mehr ...