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Wie Hightech den Handel vorantreibt

Die immer stärkere Urbanisierung verlangt nach neuen Handelskonzepten.
Angelika Fleischl

Die immer stärkere Urbanisierung verlangt nach neuen Handelskonzepten.

Mit einer immer älter werdenden Gesellschaft geht eine immer stärkere Urbanisierung Hand in Hand: In Erwartung einer besseren Infrastruktur und einer besseren Gesundheitsversorgung zieht es ältere Menschen vom Land in die Städte; die Jungen wiederum wittern in der Stadt bessere Ausbildungschancen und bessere Arbeitsmöglichkeiten, ganz abgesehen vom Kultur- und Unterhaltungsangebot, für das man gerne auf die ruhige, friedliche Landidylle verzichtet.

Versandhandel boomt am Land

Mit der Kaufkraft der Bevölkerung zieht sich auch der Handel sukzessive aus dem ländlichen Bereich zurück. Der gute alte Dorfgreißler ist eine vom Aussterben bedrohte Art, es ist heute durchaus normal, zwei oder drei Ortschaften weiter fahren zu müssen, um die wichtigsten Dinge für den täglichen Bedarf einkaufen zu können und auch Zustelldienste sind auf dem Land rar gesät.

„Lieferservice lohnt sich in  Agglomerationen mit kurzen Wegen eher als auf dem Land“, schildert Thomas Harms, Spezialist für Einzelhandel und Consumer Produkte bei Ernst & Young, in seiner Analyse „Die Magie der Megacities“. Die kurzen Wege, gepaart mit einer relativ hohen Nachfrage, machen es möglich, dass sich frische und leicht verderbliche Ware in der Stadt heute schon binnen Minuten liefern lässt.

Mit der ausgedünnten stationären Versorgung boomt auf dem Land dafür der Versandhandel und das mit steigender Tendenz. Ein Teufelskreis, der wiederum auf die regionale Wirtschaft zurückschlägt: Wenn man schon seine Waren über das Internet bestellen muss, dann wird man nicht mehr den nächstgelegenen, sondern den kostengünstigsten Anbieter wählen.

Gefühl von Komfort und Zufriedenheit

Martin Schulz, Senior Economist am Fujitsu Research Institute in Tokio, beobachtet akribisch die Wirtschaftsentwicklung in den asiatischen Riesenmetropolen. Durch das rasante Wachstum der Städte sind eine ausgeklügelte Logistik und höchste Effizienz in so gut wie allen Bereichen des Lebens vonnöten, um die Versorgung nicht nur aufrecht erhalten zu können, sondern der Bevölkerung gleichzeitig das Gefühl von Komfort und Zufriedenheit zu bieten. Da vor allem die Mobilität bei derartigen Menschenmassen – allein im Raum Tokio leben fast 38 Millionen Menschen – eine gewaltige Herausforderung darstellt, ist man bemüht, die Strecken, die zur Erfüllung der Grundbedürfnisse jedes Einzelnen zurückzulegen sind, so kurz wie möglich zu halten.

„Die Produkte des täglichen Lebens kann man in kleinen Geschäften an praktisch jeder Ecke kaufen, alles andere bezieht man online oder man macht einen Shopping-Ausflug in eine Mall“, beschreibt Schulz den Alltag in der Megacity.

Konzept der „virtuellen Mall“

Wobei auch die klassische Mall und der Online-Handel immer stärker zusammenwachsen. Der japanische Online-Händler Rakuten, der seit einigen Jahren auch in Österreich aktiv ist, etwa hat das Konzept der „virtuellen Mall“ ins Leben gerufen, eine Plattform, auf der sich unterschiedliche reale Geschäfte mit ihrer eigenen Corporate Identity und ihrem individuellen Flair wie in einem echten Einkaufszentrum präsentieren. Rakuten stellt die technologische Infrastruktur zur Verfügung und bietet den Besuchern die Möglichkeit, von einem Geschäft zum nächsten zu schlendern, für den weiteren Geschäftsablauf sind aber nach wie vor die einzelnen Firmen, die diese Plattform nutzen, verantwortlich.

Ausgereifte Informationstechnologie

Der Grund, weshalb sich ein Hightech-Konzern wie Fujitsu so intensiv mit der Urbanisierung und der Entwicklung von Megastädten beschäftigt, liegt auf der Hand: Um die logistische Herausforderung auch weiter meistern zu können, bedarf es einer ausgereiften Informationstechnologie, die Transportwesen, Ein- und Verkauf, Gesundheitswesen und Verwaltung sicher und zuverlässig kontrollieren und steuern kann. „Dabei können wir die bereits vorhandenen, über Jahrzehnte gewachsenen Systeme nicht einfach allesamt abdrehen und durch neue ersetzen“, schildert Schulz. „Vielmehr müssen wir neue Plattformen und Strukturen schaffen, auf die man die alten Systeme einfach aufsetzen kann.“

Während es hierbei um Systeme geht, die für den Endverbraucher unsichtbar bleiben und ihr Werk im Hintergrund verrichten, wird der Handel von morgen auch von Technologien geprägt sein, die die Interaktion zwischen den Kunden und den Anbietern von Waren oder Dienstleistungen vereinfachen oder verbessern sollen.

Ein typisches Beispiel dafür rollt seit einiger Zeit durch den Cyberport Store im Wiener City Gate: Ein kleiner Roboter, der anstelle eines Kopfes auf einem langen Giraffenhals einen Tablet-PC trägt, rollt durch das Geschäft und bietet den Kunden die Möglichkeit, zusätzliche Informationen zu den Produkten, die sie im Regal sehen, abrufen zu können. Auf den ersten Blick ein etwas riskantes Unterfangen, da der Kunde ja dann auch allfällige schlechte Bewertungen anderer Käufer sehen könnte, da aber in der Realität sowieso  heute schon vor jeder größeren Anschaffung im Internet gegoogelt oder in diversen sozialen Netzwerken recherchiert wird, bietet der elektronische Shopping-Assistent dem Interessenten einfach die Möglichkeit, die Informationen, die er sonst über sein Smartphone abrufen würde, gleich vor Ort im Geschäft zu erfragen – und dann gleich dort zu kaufen und nicht vielleicht auf einen anderen Anbieter auszuweichen.

Eine Schnittstelle zwischen dem traditionellen, stationären Handel und dem Online-Geschäft stellen übrigens auch die elektronischen Preisschilder dar, die nicht nur bei Cyberport, sondern auch in immer mehr anderen Geschäften die Regale zieren. Wenn sich beispielsweise aufgrund einer Marketingaktion die Preise für ein oder mehrere Produkte ändern, müssen keine neuen Preisschilder mehr geschrieben werden: Es reichen ein paar Mausklicks in der Zentrale und automatisch erscheinen auf den kleinen Displays die neuen, aktualisierten Preise.

„Der Wettbewerbsdruck, die laufende Innovation und das Internet-Business zwingen uns, Preise schneller anpassen zu können.„Mit dieser neuen Technologie sparen unsere Mitarbeiter kostbare Zeit und können sie besser und konsequenter für gute Kundenberatung und Service einsetzen“, beschreibt Cyberport-Geschäftsführer Helmar Hipp die Herausforderung, die durch die sukzessive Verschmelzung der verschiedenen Handelskanäle entsteht.

Das Einkaufserlebnis bereichern

Und dann gibt es noch Technologien, die zwar noch in den Kinderschuhen stecken und nur bedingt praxistauglich sind, doch ist dank des technischen Fortschritts damit zu rechnen, dass auch diese in den nächsten Jahren perfektioniert werden. Schon jetzt regen sie zumindest den Spieltrieb an und bereichern damit das Einkaufserlebnis. Dazu zählt etwa der virtuelle Spiegel, der es dem Kunden ermöglicht, verschiedene Kleidungsstücke anzuprobieren, ohne sich tatsächlich umziehen zu müssen. Ein Computer projiziert ein Abbild des jeweiligen Gewandes auf das reale Bild des potenziellen Käufers, so dass dieser gleich erkennen kann, ob der ausgewählte Style überhaupt zu ihm passt. Ob das entsprechende Kleidungsstück tatsächlich richtig sitzt oder an allen Ecken zwickt und zwackt, weiß der Computer freilich nicht – zumindest heute. Vor dem endgültigen Kauf heißt es dann doch noch zur echten Anprobe zu schreiten. Ein derartiges System, wie es etwa die deutsche Human Solutions Gruppe präsentierte, erleichtert übrigens auch dem Personal im Geschäft die Arbeit: Die Verkäufer müssen nicht mehr den ganzen Tag über Berge von anprobierten und dann lieblos in eine Ecke geworfenen Kleidungsstücke sortieren und neu zusammenlegen, sondern können sich, wie es so schön heißt, stärker ihrer Kernkompetenz, sprich dem eigentlichen Verkauf von Waren, widmen.

Dreidimensionaler Avatar

Das kalifornische Unternehmen Trupik machte aus der digitalen Anprobe sogar eine Handy-App, die derzeit in Indien der große Renner ist: Der Kunde wird bei einem Besuch im Laden aus verschiedenen Blickwinkeln fotografiert, daraus wird ein dreidimensionaler Avatar mit genau den körperlichen Proportionen der echten Person erstellt. Diesen Avatar kann man dann aufs Handy laden und wie eine Anziehpuppe mit verschiedenen Gewändern bekleiden. Hat man sich für ein Teil entschieden, schickt man eine Nachricht an die nächste Filiale – dort kümmert man sich darum, dass das Kleidungsstück genau in der gewünschten Größe herbeigeschafft wird und der Kunde es dann im Geschäft real anprobieren und kaufen kann.