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Wifo/IHS erwarten "milde Rezession" - Hochbau-Hilfsprogramm empfohlen

IHS-Chef: "Wirtschaftslage kein Anlass für allgemeines Konjunkturprogramm" - Inflation weiterhin hoch, deutlicher Rückgang im kommenden Jahr - Arbeitsmarkt robust - Budgetdefizit sinkt
Patrick Baldia
Felbermayer
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© APA/HELMUT FOHRINGER | Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sieht Unterstützungsbedarf für die Bauwirtschaft

Angesichts der erwarteten "milden Rezession" heuer und dem leichten Aufschwung im kommenden Jahr sprechen sich Wifo und IHS gegen ein umfassendes Konjunkturpaket aus. "Die Wirtschaftslage gibt der Politik definitiv keinen Anlass für ein allgemeines Konjunkturprogramm", sagte der seit Juli amtierende IHS-Direktor Holger Bonin am Freitag bei der Präsentation der Konjunkturprognose. Bonin und Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sehen aber Unterstützungsbedarf für die Bauwirtschaft.

Die Wirtschaftsforscher vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und vom Institut für Höhere Studien (IHS) erwarten heuer und im kommenden Jahr einen Einbruch der Bauinvestitionen, vor allem im Hochbau. Wenn es kein Programm der öffentlichen Hand für den Bausektor gebe, werde ein Teil der Beschäftigten abgebaut, dann in andere Sektoren abwandern und im Aufschwung sowie für die "Ökologisierung der Wohnimmobilien" nicht mehr zur Verfügung stehen, warnte Felbermayr. Auch für Bonin ist es "sinnvoll, Kapazitäten im durch die gestiegenen Zinsen angeschlagenen Bausektor mit Anreizen und Rechtssicherheit für die energetische Gebäudesanierung sowie mehr sozialen Wohnbau zu erhalten".

Für den heuer schrumpfenden und 2024 stagnierenden Industriesektor sehen die heimischen Top-Ökonomen keinen Bedarf für ein Konjunkturprogramm. Die Regierung solle sich lieber auf "strukturelle Reformen konzentrieren", so der IHS-Chef. Felbermayr warnte davor, "noch ein paar Milliarden Schulden zu machen". Der öffentliche Schuldendienst werde durch den starken Anstieg der Zinsen teurer.

Wifo und IHS haben am Freitag ihre Konjunkturprognose für Österreichs Volkswirtschaft gegenüber der Juni-Schätzung deutlich nach unten korrigiert und rechnen nun für heuer mit einer Rezession. Für 2023 wird ein Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,8 bzw. 0,4 Prozent erwartet, bei der Sommerprognose war noch ein Wirtschaftswachstum von 0,3 bzw. 0,5 Prozent prognostiziert worden. Außerdem hoben Wifo und IHS die Inflationsprognose für 2023 leicht auf 7,7 bzw. 7,8 Prozent an.

"Konjunkturell ist das Jahr 2023 zum Vergessen", sagte Wifo-Direktor Felbermayr. "Die gute Nachricht ist, dass die Rezession in ihren letzten Zügen liegt." Die Frühindikatoren würden "zaghaft auf eine Trendumkehr" hinweisen, so Felbermayr. Deutlichen Handlungsbedarf sieht der Wifo-Chef bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen. Die Abweichung vom Reduktionszielpfad des türkis-grünen Regierungsprogramms 2020-2024 betrage bis Ende 2024 laut Wifo-Prognose bereits 20 Prozent.

Für IHS-Chef Bonin hat Österreichs Wirtschaft, "das Schlimmste schon hinter sich". Im nächsten Jahr gehe es "schon wieder konjunkturell aufwärts", der Konjunkturverlauf gebe "keinen Anlass, in einen Krisenmodus zu verfallen", so Bonin.

Starke Zinssteigerungen, gedämpfte Kaufkraft, hohe Energiepreise und eine schwache internationale Konjunktur belasten die heimische Wirtschaftsentwicklung im laufenden Jahr. Neben der Industrie schrumpft heuer auch der Handel. Im Bereich Gastronomie, Tourismus, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen erwarten die Wirtschaftsforscher "moderates Wachstum".

Die schlechten Konjunktur-Nachrichten haben heute zu zahlreichen Reaktionen geführt. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) sprach von einer "kurzen Phase des Negativwachstums für Österreich" und einer "vorübergehenden Konjunkturdelle", er sieht aber "keinen Grund zur Verunsicherung". SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer ortet hingegen "eine Bankrotterklärung der ehemaligen Wirtschaftspartei ÖVP". "Wir haben einen Kanzler der gegen höhere Löhne statt höhere Preise kämpft", sagte er. Für FPÖ-Chef Herbert Kickl hat die Bundesregierung "unseren Wohlstand vernichtet". NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger machte sich für eine Senkung der Lohnnebenkosten stark.

Für die Gewerkschaften PRO-GE und GPA, die sich gerade in den Metaller-KV-Verhandlungen befinden, ist die heutige Prognose eine Bestätigung ihrer Lohnforderung von plus 11,6 Prozent. Es sei wichtig, dass die bereits aufgelaufene Inflation im Nachhinein durch Kollektivvertragsverhandlungen abgegolten werde. Ihr gegenüber bei den Lohnverhandlungen, Christian Knill vom Fachverband der Metalltechnische Industrie, hingegen stellte klar: "Es gibt nichts mehr zu verteilen."

Die heimische Industrie schlägt angesichts sinkender Produktion, ausbleibender Aufträge und schlechten Konjunkturprognosen Alarm. Die Industrievertreter sehen die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs in Gefahr und forderten am Freitag bei einer Pressekonferenz von der Politik bessere Rahmenbedingungen.

AMS-Österreich-Co-Chefin Petra Draxl meinte zum "profil" angesichts der heurigen Rezession: "Wir rechnen mit leicht steigender Arbeitslosigkeit 2024. Ein anderer Aspekt ist die Kurzarbeit, für die 20 Millionen vorgesehen sind- wenn das nicht reicht, weil die wirtschaftliche Lage schwieriger wird, ja, dann gibt es mehr Arbeitslose. Wenn die Politik aufstockt, wird es weniger sein. Schwierig zu sagen, es sind kommunizierende Gefäße."

Für 2024 rechnen Wifo und IHS aufgrund kräftiger Reallohnzuwächse und einer Belebung der Weltwirtschaft hierzulande mit einem realen Wirtschaftswachstum von 1,2 bzw. 0,9 Prozent. Im kommenden Jahr sollte die Inflationsrate laut aktueller Herbst-Prognose auf 4,0 bzw. 4,2 Prozent sinken. Österreichs Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren eine Achterbahnfahrt erlebt: Nach dem coronabedingten Einbruch des realen Wirtschaftswachstums im Jahr 2020 von minus 6,6 Prozent ging es 2021 mit plus 4,2 Prozent und 2022 mit plus 4,8 Prozent wieder steil nach oben. Im zweiten Halbjahr 2022 setzte dann ein internationaler Konjunktureinbruch ein, der auch Österreichs Volkswirtschaft erfasste.

Trotz der konjunkturellen Schwächephase erweist sich der österreichische Arbeitsmarkt als robust. Auch die Verteilung der Arbeit auf mehr Köpfe und ein vermehrtes Halten von Arbeitskräften durch die Unternehmen im Abschwung hilft. Die Zahl der unselbstständig aktiv Beschäftigten soll sich laut Wifo/IHS-Prognose heuer um 1,0 (Wifo) bzw. 1,1 (IHS) Prozent und im kommenden Jahr um 0,5 Prozent erhöhen. Die Arbeitslosenrate soll von 6,3 Prozent (2022) auf 6,5 Prozent (2023) und dann auf 6,6 bzw. 6,8 Prozent steigen.

Die beiden Forschungsinstitute haben für ihre Konjunkturprognose 2023 und 2024 Kollektivvertragsabschlüsse auf Höhe der rollierenden Inflation angenommen. Bonin hofft, dass die Sozialpartner je nach wirtschaftlicher Lage der Branche differenzierte Gehalts- und Lohnabschlüsse schaffen. "Dieser Hinweis soll nicht als Plädoyer für eine allgemeine Lohnzurückhaltung verstanden werden", betonte der IHS-Direktor. Das Wifo erwartet einen realen Anstieg der Netto-Löhne und -Gehälter pro Kopf von heuer 1,1 Prozent und 4,0 Prozent im kommenden Jahr. 2021 und 2022 belief sich der Rückgang auf 0,9 und 2,9 Prozent.

Wifo-Chef Felbermayr wies darauf hin, die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft im Vergleich zu anderen EU-Ländern und Staaten von außerhalb der Europäischen Union nicht außer Acht zu lassen. Die nominellen Lohnstückkosten in der Gesamtwirtschaft sollen heuer laut Wifo-Prognose um 10,2 Prozent und nächstes Jahr um 6,8 Prozent steigen.

Die hohe Inflation lässt aber auch die Steuereinnahmen sprudeln. Gleichzeitig belasten inflationsbedingt steigende Ausgaben der öffentlichen Hand für Vorleistungen, Löhne und Gehälter, Pensionen, indexierte Sozialleistungen und Zinsen den Staatshaushalt. Auch die Abgeltung der kalten Progression bei der Lohn- und Einkommensteuer sowie die Tarifsenkung bei der Körperschaftsteuer führen zu weniger Einnahmen. Das Wifo rechnet für heuer mit einem staatlichen Finanzierungssaldo in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von minus 2,4 Prozent, das IHS mit einem Budgetsaldo von minus 3,0 Prozent. Für 2024 prognostizieren die Institute ein niedrigeres Finanzierungssaldo des Staates laut Maastricht-Definition von minus 1,6 bzw. minus 1,9 Prozent. (apa)