Was macht eine Wohnung attraktiv, wenn der Weg ins Büro wegfällt? Eine neue Studie unter Beteiligung des Complexity Science Hub (CSH) zeigt: Seit Beginn der Pandemie sind Homeoffice-taugliche Wohnungen in Wien deutlich stärker nachgefragt – mit langfristigen Folgen für Stadtentwicklung und Wohnungsbau.
Um zu identifizieren, wie sich die Bedeutung verschiedener Wohnmerkmale im Zuge der Pandemie verändert hat, analysierte das Forschungsteam rund um Fabian Braesemann, dem neuesten Mitglied der CSH Associate Faculty, mehr als 120.000 Online-Inserate von Mietwohnungen auf der Plattform „Willhaben“ von 2018 und 2022. Die Studie wurde kürzlich in PLOS One veröffentlicht.
Unterschiedliche Entwicklung in den verschiedenen Bezirken:
Im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie stiegen die Mieten stärker in den Außenbezirken, in denen es tendenziell mehr Wohnungen mit Außenbereichen (Terrasse, Balkon) gibt.
Nachholeffekt in den vor der Pandemie niedrigpreisigeren Außenbezirken:
Die Mieten steigen in den Innenstadtbezirken (1. bis 9. Gemeindebezirk) im Schnitt um knapp unter 10 %, während sie in den Außenbezirken (10. bis 12. und 14. bis 17. Bezirk sowie 20. bis 23. Bezirk) um über 15 % stiegen. Mit anderen Worten: In diesen Außenbezirken stiegen die Mieten um 50 % mehr als in den Innenstadtlagen. Am größten war die Preissteigerung in den Bezirken 10, 11, 15, 20, 21 und 23. In den bereits hochpreisigeren Bezirken 13, 18 und 19 fiel die Steigerung geringer aus.
Fazit: Die bis zur Pandemie vergleichsweise niedrigpreisigeren und weniger attraktiven Außenlagen wurden dann mehr nachgefragt. Und für Mieter, die im Homeoffice arbeiten können, sind Freiflächen und mehr Zimmer wichtiger geworden, als eine perfekte Anbindung an den öffentlichen Verkehr und Innenstadtlage.
Die Forderung an die Politik: Auch Gemeindewohnungen müssen homeofficetauglich gemacht werden um weiterer Segregation vorzubeugen.
„Unsere Studie zeigt, dass die Analyse großer Daten von Online-Plattformen es möglich macht, relevante Markt-Trends und den Einfluss von externen Schocks wie einer Pandemie auch in sich normalerweise langsam entwickelnden Systemen wie dem Wohnungsmarkt in Echtzeit zu beobachten und frühzeitig Trends zu erkennen“, betont Braesemann, der auch als Dozent an der Universität Oxford tätig ist, die Relevanz solcher Analysen.
Der Wohnungsmarkt als komplexes System
Die Ergebnisse der Studie heben zudem die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Forschung zu komplexen Systemen hervor, wie sie der Complexity Science Hub betreibt. „Mietpreise entstehen dynamisch aus dem Zusammenspiel zahlreicher Akteure und Faktoren”, erklärt Stefan Thurner, Präsident des Complexity Science Hub. „Wenn wir mit Hilfe von Algorithmen sich verändernde Wohnpräferenzen aus Mietpreisdaten extrahieren können, so können wir Stadtplanung anders denken – weg von reaktiven Maßnahmen hin zu einem aktiven Management des Wohnungsmarkts als komplexes System”, fügt Braesemann hinzu.
Die Stadt aktiv anpassen
Die Implikationen der veränderten Nachfrage nach Wohnungen beschränken sich nicht nur auf den Wohnungsmarkt selbst, sondern gehen darüber hinaus: Wenn mehr Menschen von zuhause arbeiten, statt in die Innenstadt zu pendeln, verlieren Geschäfte mögliche Kunden – was etwa zu einer Aushöhlung innerstädtischer Einkaufsstraßen beitragen kann. „Um dies zu verhindern, sollten Angebote geschaffen werden, die Bürger in die Innenstadt locken – unabhängig vom täglichen Weg zur Arbeit“, so Braesemann.