Die heimische Zementindustrie sieht sich vor eine ganze Reihe von Herausforderungen gestellt: So drücken die festgezurrten EU-Klimaschutzvorgaben, die hohe Inflation, deutlich gestiegene Kreditzinsen und strengere Kriterien bei der Immobilienkreditvergabe auf das Baugeschäft. "Das Bauen muss sich schon neu erfinden", betonte der Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ), Sebastian Spaun, mit Blick auf mehr Umweltschonung.
2022 sank das Auftragsvolumen für Zement gegenüber dem zweiten Coronajahr 2021 um 6,3 Prozent auf 5,2 Mio. Tonnen. Vorerst ist auch keine Entspannung in Sicht. "Wir gehen davon aus, dass wir heuer im Rückgang zweistellig sind, also mehr als 10 Prozent, auf deutlich unter 5 Mio. Tonnen in Richtung 4,5 Mio. Tonnen", umriss Holcim-Österreich-Chef und VÖZ-Präsident Berthold Kren die aktuelle Lage in der Jahrespressekonferenz. 2024 dürfte es seiner Einschätzung nochmals ein Minus von 5 bis 10 Prozent geben.
"Von einer Krise mag ich noch nicht reden", hielt Kren unter Verweis auf die zahlreichen Projekte fest, die derzeit umgesetzt werden. "Neu Projekte werden eher aufgeschoben", räumte er ein. "Die höhere Zinsbelastung im privaten Hausbau hat sofort durchgeschlagen." Die Grundstückspreise seien ebenfalls rasant nach oben gegangen. "Das alles zusammen wird zu einem Knick in der Bauindustrie führen", erwartet Kren. "Für nächstes Jahr sehen die Prognosen auch nicht rosiger aus."
Allerdings komme es zu diesen Rückgängen von einem sehr hohen Niveau aus. "Wir haben während der Coronazeit wie die Verrückten produziert - ich würde fast von einer Überhitzung sprechen, es war unglaublich", relativierte der Holcim-CEO die nun rückläufige Entwicklung. Was nach 2024 passiere, werde auch von den Auftragsverhalten der öffentlichen Hand abhängen.
In einzelnen Segmenten sei das Geschäft allerdings "vollkommen zum Erliegen gekommen", ergänzte Spaun. Wenn es im privaten Wohnbau zu einem Minus von 50 Prozent komme, dann bedeute das minus 15 Prozent am Markt, erklärte Kren. "Bei den kleinen Baumeistern und Betonfirmen wird es ein bisschen knirschen, das macht natürlich Sorge."
Den Umwelt- und Klimaschutz betreffend befindet sich die Baustoffbranche seit Jahren im Umbruch. Es wird viel in die Materialforschung investiert, um etwa CO2-ärmer zu produzieren und mehr wiederzuverwerten. Im abgelaufenen Jahr verringerte die heimischen Zementindustrie ihre CO2-Emissionen laut Eigenangaben um 5,2 auf 2,67 Mio. Tonnen. Seit 1997 seien die spezifischen CO2-Emissionen um 24 Prozent auf 521 Kilogramm CO2 pro Tonne Zement zurückgegangen.
In der Zementindustrie sind allerdings zwei Drittel der CO2-Emissionen "prozessbedingt", ein Drittel entfällt auf die Brennstoffe. "Das Hauptproblem, das wir haben, sind diese zwei Drittel der Emissionen", sagte Spaun. Aus Kalkstein entweiche beim Erhitzen beziehungsweise Löschen CO2. Daran führt vorerst kaum ein Weg vorbei. "Den daraus entstehenden Brandkalk brauchen wir, um daraus Zement zu machen."
Die Zementindustrie dreht dennoch an vielen Schrauben, um den CO2-Ausstoß zurückzufahren - zum Teil mit großem Erfolg. Ein Beispiel seien "deutlich materialreduzierte Betondecken", die unterstützt durch das Know-how des Instituts für Tragwerkslehre der Technischen Universität Graz realisiert wurden. "Es gibt hier dramatische CO2-Einsparungen, einfach durch Einsparungen in der Decke - 30 Prozent weniger Beton, das heißt automatisch auch 30 Prozent weniger CO2", so Kren. "Es braucht gute Statiker, die das ausrechnen." Weiters könnten Wohnungen über Betondecken geheizt und gekühlt werden - ganz ohne fossile Energie, mit Erdwärmesonden.
Im abgelaufenen Jahr senkte die Zementbranche den Einsatz konventioneller Brennstoffe wie etwa Kohle, Heizöl, Koks und Erdgas um 29 Prozent auf 2.518 Terajoule. Parallel dazu wurden die Verwendung von Alternativbrennstoffen - dazu zählen beispielsweise Altreifen, Kunststoffabfälle, Altöl, Lösungsmittel, Papierfaserstoffe und Tierfett - um 2,4 Prozent auf 11.064 Terajoule erhöht. Die Ersatzbrennstoffrate, also der Anteil von Brennstoffen am thermischen Energieverbrauch, habe 2022 rund 81,5 Prozent erreicht - das war weit über dem EU-Schnitt. Beim Substituieren von konventionellen, fossilen Energieträgern lagen die EU-28 bei durchschnittlich 50 Prozent, Italien beispielsweise nur bei 17 Prozent.
Vier Mitgliedsbetriebe der VÖZ bieten den Angaben zufolge bereits "umweltfreundlicheren Zement" an. Der Preis dafür liegt laut Kren nur "leicht über den Standardpreisen, im einstelligen Prozentbereich". Gleichzeitig will die Branche von der zunehmenden Urbanisierung und der Energiewende profitieren. "Wasserkraft, Speicherkraftwerke - all das muss gebaut werden", so Kren. "Deshalb sind wir davon ausgegangen, dass die Zementmenge gleichbleibt", ergänzte Spaun. "Unser Hauptprodukt - Klinker - werden wir aber deutlich weniger produzieren."
"Den Bedarf sehen wir ganz dringend, anders zu bauen - mit Beton geht das", ist VÖZ-Geschäftsführer Spaun jedenfalls insgesamt zuversichtlich. Die zehn Mitgliedsbetriebe der VÖZ - darunter etwa Baumit, Hatschek, Holcim und w&p Zement - sind österreichweit an zwölf Standorten aktiv und erzielten 2022 mit 1.226 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 599 Mio. Euro - das waren um knapp 16 Prozent mehr als im Jahr davor. (apa)