In diesem Haus geben sich hoffnungsvolle Gründer von Österreichs künftigen Vorzeigeunternehmen die Klinke in die Hand: Der Telekomriese A1 betreibt in einem unscheinbar wirkenden Bürohaus im aufstrebenden Wiener Bobo-Bezirk Brigittenau mit dem A1 Campus den wohl bekanntesten Start-up-Hub Österreichs. In einem Objekt aus der Nachkriegszeit ist eine zweistellige Anzahl von Jungunternehmern untergebracht. Die gesamte Infrastruktur – von den Räumlichkeiten bis hin zur Veranstaltung von großen Medienevents im Haus – ist für die Gründer kostenlos; sie müssen sich dafür nur bei A1 bewerben – und der Andrang ist groß. „Am A1 Start Up Campus haben ausgewählte Start-ups die Möglichkeit, völlig neue Business-Ideen zu entwickeln. A1 unterstützt sie bei ihren ersten Schritten“, sagt Margarete Schramböck, CEO von A1.
A1 ist aber bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das Start-ups in seinem Immobilienbestand logieren lässt. Zwischennutzung liegt im Trend – ist doch die temporär anderweitige Verwendung von Bestandsgebäuden bis zur endgültigen Entscheidung über die künftige Nutzung eine ideale Möglichkeit für Immobilienkonzerne, ihr Image aufzupolieren und zugleich den Beweis zu erbringen, dass der Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) für die Vorstände mehr als nur eine Fußnote im Geschäftsbericht ist. So gab es bei Österreichs größtem börsennotierten Immobilienriesen Immofinanz schon vor Jahren mit „Clusterhaus“ ein Projekt, bei dem leerstehende Objekte in Wien, aber auch an anderen Märkten des Unternehmens, lokalen Start-ups zur Verfügung gestellt wurden. Und auch die nach der Eröffnung vor drei Jahren rasch zur Institution gewordene Start-up-Kommune „Packhaus“ in Wien-Landstraße wird mit Conwert von einem börsennotierten Immobilienkonzern betrieben – mit Erfolg, denn die MA7, die Kulturabteilung der Stadt Wien, hat jüngst ein 200 Seiten dickes Buch über das Thema Zwischennutzung veröffentlicht , in dem am Beispiel des „Packhaus“ erklärt wird, wie man ein seit Jahren leer stehendes Bürogebäude – in diesem Fall das frühere Bundesrechenzentrum – wieder mit Leben füllt und damit das gesamte Grätzl aufwertet. „Das Packhaus bietet Usern die Möglichkeit, sich branchenübergreifend zu vernetzen, und ist durch seine Gemeinschaftsidee, Lage, Initiativen und Medienpräsenz ein gutes Sprungbrett und Generator“, resümiert Max Nedjelik, „Packhaus“-Mieter und Gründer des Fintech-Start-ups Baningo.com.
Alles Beispiele, die zeigen: Ein Hauch Alternativszene tut auch Milliardenkonzernen gut. Junge Vordenker, die in Shabby-Chic-Umgebung bis tief in die Nacht an ihren Laptops tüfteln, sind ein sichtbares Zeichen Richtung Stakeholder – und das sind nicht nur Aktionäre, sondern auch Geschäftspartner, Lieferanten sowie Medien oder eben die Stadtväter –, dass man bei allem Blick fürs Business das Herz für die Gesellschaft nicht verloren hat. Eine Win-Win-Situation für alle – wenn die Spielregeln von Anfang an klar sind und sich alle daran halten. Denn dass das nicht immer der Fall ist, zeigt sich bei einer Immobilie eines privaten Entwicklers in der Westbahnstraße in Wien-Neubau: Das kulturelle Zwischennutzungsprojekt lief zwar nach Ablauf der ausgemachten Dauer aus, doch eine kleine Gruppe wollte das nicht wahrhaben und machte bei Bezirksvertretern und Stadtpolitikern gegen das dort von Anfang an geplante neue Wohnhaus mobil. Letztlich zwar erfolglos – aber doch ärgerlich für den Hauseigentümer. Wahrscheinlich sind solche Fälle der Grund, warum private Entwickler von längerfristigen Zwischennutzungslösungen eher Abstand nehmen. So nutzen die Projektpartner und Eigentümer Wertinvest und IFA AG das von ihnen erworbene Gebäude der Alten Post am Fleischmarkt in bester Wiener Citylage in der Zeit zwischen Erwerb und Beginn des Umbaus mit Wohn- und Hotelnutzung vor allem für Firmenfeiern und stellen es nur kurzzeitig anderen Interessenten, etwa dem Filmfestival Viennale sowie einem Modefestival, zur Verfügung.
„Unsere Erfahrung mit Zwischennutzungsprojekten ist durchwegs positiv“, sagt Ernst Vejdovszky, CEO der S Immo AG: Das Unternehmen pflegt ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Mietern und ist im ständigen Austausch mit ihnen. „Wichtig bei einer Vereinbarung über eine Zwischennutzung ist es, im Vorfeld alle wesentlichen Punkte wie die konkrete Dauer des Mietverhältnisses oder auch die genauen Konditionen zu klären.“ Wenn die Rahmenbedingungen klar abgesteckt sind, ist eine Zwischennutzung eine Erfolgsgeschichte für alle Beteiligten, meint der S-Immo-Chef. Wichtig ist dabei, solche Projekte nicht als Geschäft, sondern als soziales Engagement zu sehen: „Überlegungen zur Rendite stehen bei Zwischennutzungen eher im Hintergrund, da sie vom Gedanken der Corporate Social Responsibility geprägt sind. Im Mittelpunkt steht die Idee, dass man als Immobilieninvestor seine gesellschaftliche und soziale Verantwortung wahrnimmt, indem man Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Gleichzeitig kann eine Zwischennutzung aber die ideale Übergangslösung etwa bei einer strategischen Neupositionierung einer Immobilie sein oder aber auch nur vorrübergehend die Leerstandskosten abdecken – beides ist wirtschaftlich sinnvoll. Mit einem attraktiven Zwischenmieter kann ein Standort belebt, die zukünftige Verwertung unterstützt und ein Objekt nachhaltig positioniert werden.“
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© Fotolia[/caption] Bei der S Immo gibt es viele seit Jahren bewährte Zwischennutzungsprojekte – zum Beispiel ein Musikcluster in einem früheren Büroobjekt in der Sonnenallee in Berlin oder einen Pop-up-Store in Wien namens Kunstsupermarkt. „In unseren Shoppingcentern in Bukarest und Sofia konnten wir mit temporären Pop-up-Stores ebenfalls gute Erfolge erzielen“, sagt Vejdovszky. Zuletzt hat das Wiener Künstlerhaus, dessen eigentlicher Standort am Karlsplatz saniert wird, in einem Gebäude der S Immo in Wien-Margareten für zwei Jahre Unterschlupf gefunden.
Mitbewerber CA Immo hat ebenfalls eine Reihe von Zwischennutzungsprojekten, wobei CEO Frank Nickel auch für sehr genau definierte temporäre Mietverträge plädiert. Er unterscheidet zwei Arten der Zwischennutzung: „Zum einen vermieten wir Flächen unserer Landbank oder auch alte Lagerhallen und Gebäude temporär, um diese nicht brachliegen zu lassen, sondern um mit ihnen heute schon Mieteinnahmen zu generieren. Zum anderen vermieten wir solche Flächen oder Gebäude auch gezielt, um den Ort ins Bewusstsein der Bevölkerung und damit auch unserer Zielgruppen zu bringen.“ Primär im Fokus stehe dabei bei beiden Varianten aber nicht die Rendite, sondern der gesellschaftliche Wert, betont Nickel. Etwa beim Kunstcampus in Berlin: „Hier haben wir eine alte Lagerhalle zu einem Galeriegebäude umgebaut und gezielt innovative Galerien angesiedelt. Dies war eine perfekte Ergänzung zum unmittelbar benachbarten Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof und hat viel Aufmerksamkeit für den Standort Europacity generiert. Nachdem die Hochbaumaßnahmen dort begonnen haben, wurde die Halle wieder aufgelöst.“ Ein anderes Beispiel in Frankfurt ist der Bauplatz für das Hochhaus „One“. Dort gibt es regelmäßig temporäre Vermietungen, beispielsweise für Präsentationen aus der Automobilbranche oder auch kulturelle Events. „Dadurch lenken wir wieder gezielt die Aufmerksamkeit der Frankfurter auf diesen Standort“, sagt Nickel.
Auch Conwert ist in Sachen Zwischennutzung bei weitem nicht nur beim „Packhaus“ stehen geblieben – es gibt eine Reihe von Projekten, die nicht immer ganze Häuser, sondern zum Teil auch einzelne Wohnungen umfassen. So wurde in einer zwischenzeitlich leerstehenden, auf die Renovierung wartenden Conwert-Wohnung in der Wollzeile in der Wiener Innenstadt im Vorjahr das moderne Theaterstück „Kafkas Frauen“ aufgeführt, das sich den Frauenrollen in Franz Kafkas Hauptwerk „Der Prozess“ widmet. Die Besucheranzahl war dabei – weil ja eine Wohnung kein Theatersaal ist – auf 20 Personen begrenzt, Conwert-Mitarbeiter konnten bei einer Verlosung Tickets gewinnen.
„Conwert ist als Vorreiter in Sachen Corporate Social Responsibility weiterhin an erfolgreichen Zwischennutzungsprojekten interessiert“, sagt CEO Wolfgang Beck. Selbst eine eigene Initiative dazu hat der Immobilienkonzern zusammen mit Bauträger und Berufsgruppensprecher der Bauträger in der WKÖ Hans Jörg Ulreich ins Leben gerufen und mit „NEST“ Österreichs erste Leerstandsagentur gegründet. „Es braucht viel mehr mutige Initiativen, die jede leere Ecke der Stadt beleben“, sagt Ulreich, dessen Unternehmen ein ehemaliges Bürogebäude in der Tautenhayngasse in Wien-Fünfhaus zur Verfügung stellt: „Es macht einfach Spaß, neuen Schwung in die alten Buden zu bringen!” Das Ziel von NEST ist, mittelfristig zehn Prozent des gesamten Leerstandes am Wiener Büromarkt, sprich rund 60.000 Quadratmeter an Büroflächen der Zwischennutzung zuzuführen.
Die meisten leeren Büroflächen besitzt aber der Staat – und deswegen hat auch die Bundesimmobiliengesellschaft BIG, die den Immobilienbestand des Bundes verwaltet, viele Zwischennutzungsprojekte. Der Fokus liegt dabei jedoch weniger auf Start-ups und Kunstprojekten – vielmehr ist die BIG vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise vor allem an der Schaffung temporärer Flüchtlingsunterkünfte interessiert. Mehrere ehemalige Finanzämter und sonstige Verwaltungsgebäude werden vor dem Umbau in teure Wohnungen derzeit als Flüchtlingsheime genutzt. Auch die börsennotierte BUWOG hat im Zuge der Flüchtlingskrise innerhalb ihres Bestandes geprüft, welche Wohnungen für Flüchtlinge besonders geeignet sind, sagt CEO Daniel Riedl: „In Österreich werden rund 40 Wohnungen aus dem BUWOG-Bestand an in der Flüchtlingsbetreuung tätige Organisationen vermietet, in Deutschland mehr als 100 Einheiten.“ Dass gerade bei dieser Art der Zwischennutzung Rendite überhaupt kein Thema ist, steht selbstverständlich fest, wie Riedl sagt: „Eine besondere Erweiterung der BUWOG-Geschäftsfelder Richtung Flüchtlingswohnungen ist derzeit nicht geplant.“