Eine kürzlich ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 2021 (Ro 2020/15/0015) bringt hierzu eine neue Sichtweise ein: Eltern haben eine Liegenschaft, die jeweils zur Hälfte in ihrem Eigentum stand, an ihre Tochter übertragen. Die Tochter verpflichtete sich, an ihre drei Geschwister eine Ausgleichszahlung (zur Abgeltung allfälliger erb- und pflichtteilsrechtlicher Ansprüche der Geschwister) in Höhe von jeweils 211.044,70 Euro zu leisten. Der „Schenkungsvertrag“ wurde am 3. Oktober 2016 abgeschlossen. Die Liegenschaft hatte zu diesem Zeitpunkt einen Verkehrswert von 844.178,00 Euro.
Grundsätze heranziehen
Der Verwaltungsgerichtshof hielt fest, dass für die Beurteilung, ob ein unentgeltlicher oder entgeltlicher Erwerbsvorgang vorliegt, ausschließlich nach der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze heranzuziehen seien. Demnach liegt eine gemischte Schenkung dann vor, wenn die Vertragsparteien zum Teil einen entgeltlichen und zum Teil einen unentgeltlichen Vertrag schließen wollen. Charakteristisch für einen unentgeltlichen Erwerbsvorgang ist ein offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (inklusive Leistungen an Dritte). Dieses Missverhältnis ist dann offenbar, wenn für einen Beteiligten der Abschluss eine Vermögenseinbuße und für den anderen Vertragsteil eine Bereicherung darstellt. Weiters muss das subjektive Bewusstsein der Vertragsparteien gegeben sein, dass die (teilweise) Unentgeltlichkeit des Rechtsgeschäftes gewollt ist. Dies wird bei Rechtsgeschäften zwischen nahen Angehörigen im Zweifel vermutet. Die Rechtsprechung beurteilt die Frage nach dem Hauptzweck und Gesamtcharakter des Geschäftes. Weicht allerdings der Wert der Gegenleistung um nicht mehr als 25 Prozent vom Wert des übertragenen Wirtschaftsgutes ab (das heißt mindestens 75 Prozent entgeltlich) und liegen keine besonderen Umstände vor, die einen unentgeltlichen Gesamtcharakter nahelegen, ist für die Frage der ertragssteuerlichen Behandlung in der Regel von einem einheitlichen, entgeltlichen Rechtsgeschäft auszugehen.
Entgeltliches Rechtsgeschäft
Im gegenständlichen Sachverhalt hat die Tochter Gegenleistungen von 75 Prozent des Verkehrswerts der Liegenschaft erbracht, weshalb ein entgeltliches Rechtsgeschäft vorlag.
In der Vertragsgestaltung empfiehlt es sich daher – neben der Bewertung von Leistung und Gegenleistung – den Willen der Vertragsparteien und die Umstände des Vertragsabschlusses klar darzulegen, um etwaige Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden.
Autoren
Harald Galla, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei LeitnerLeitner Wien. Er ist spezialisiert auf Immobilientransaktionen.
Katrin Chladek, Rechtsanwältin bei LeitnerLaw Rechtsanwälte (Edthaler Leitner-Bommer Schmieder & Partner Rechtsanwälte GmbH). Sie ist spezialisiert auf Private Clients, Vorsorge- und Nachfolgeplanungen und Immobilienrecht.