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Kreislaufwirtschaft: einer alleine schafft das nicht

Zu den technischen Lösungen brauche es neue Geschäftsmodelle, globale Zusammenarbeit und Anreize für jeden Einzelnen, um städtisches Wohnen in Bestandsgebäuden zukunftsfit zu machen, mahnen Experten bei der Themenreise von Drees & Sommer Mitte Oktober in Wien
Patrick Baldia
Drees & Sommer
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© Maximilian Schwarz | Die Diskutanten bei der Themenreise von Drees & Sommer Mitte Oktober in Wien (v.l.n.r.): Michael Konopka (Drees & Sommer SE), Anna-Vera Deinhammer (ÖGNI & Circular Economy Forum Austria), Stefan Kleinhans (AAB), Peter Ulm (Zukunftsan

Über 50% der Nutzenergie in Wien wird für Raumwärme und Warmwasser aufgewendet, zu rund 80% werden dafür Gas, Strom und Fernwärme verwendet. Will die Bundeshauptstadt ihre Klimaziele bis 2040 erreichen, müssten fortan pro Arbeitstag 200 Wohnungen umgestellt und rund 1 Mrd. Euro pro Jahr investiert werden und es bräuchte Material und Fachkräfte, die nicht ausreichend vorhanden sind. Umgestellt werden müsste zudem auf Kühlung: Wien hat heute ein Klima wie Rom vor 25 Jahren und wird bis 2045 um weitere 7,5°C wärmer werden und damit ein Klima haben wie Athen. So umschrieb Herbert Hetzel von Beyond Carbon Energy bei der Drees & Sommer-Themenreise die Situation für Wien, die sich auf viele Städte umlegen lässt. „Der Wert einer Immobilie wird künftig immer mehr von seiner Energieversorgung abhängen. Sie muss Energieverbraucher, Energieerzeuger und Energies­peicher gleichzeitig sein“, so Hetzel.

Urbanität, Zirkularität und Produktivität auf dem Prüfstand

„Klimawandel, Krieg, Inflation und Rezession: wir leben in Zeiten der Disruption, Mensch, Natur und Wirtschaft sind unmittelbar betroffen. Die Bau- und Immobilienbranche, besonders im städtischen Bestand, steht mitten im Zentrum dieses Wandels. Durch den Austausch bei unserer Themenreise wollen wir Impulse setzen und Lösungen erarbeiten, die in die Praxis umgesetzt werden können“, erklärt Arnold Schmitzer, Geschäftsführer Drees & Sommer Österreich. An technischen Lösungen mangle es nicht, so der Tenor der Experten der Themenreise. Wien beweise etwa mit dem Stadtentwicklungsprojekt Viertel Zwei das Machbare.

Für Peter Ulm (Zukunftsanker/allora Immobilien) liegt die Zukunft in multifunktio­nalen Gebäuden, die sich über ihre Nutzungsdauer an geänderte Anforderungen anpassen. „Wir brauchen Gebäude, die heute Wohnen, morgen arbeiten und übermorgen Produktion ermöglichen. Es braucht keinen Abriss und Neubau, sondern flexible Gebäude, die auf fünf, zehn Generationen gedacht werden und Städtebau und Klimaneutralität natürlich verbin­den.“ Dabei müsse Kreislaufwirtschaft auch die grundlegende Frage stellen, was wirklich ge­braucht werde.

„Wir müssen alte Paradigmen aufbrechen und unsere Kreativität einsetzen, um aus weniger mindestens gleich viel wie bisher herauszuholen“, meint Anna-Vera Dein­hammer (Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft ÖGNI, Circular Economy Forum Austria). Denn auch ein Plusenergiehaus brauche angesichts der darin verbauten Materialien 40 Jahre, um eine positive Energie- und CO2-Gesamtbilanz zu errei­chen.

So wie Deinhammer mahnt auch Ulm Pluralität in der Quartiersentwicklung ein. Wer den Wirkungszusammenhang von Gebäuden im Auge habe, reduziere Wege und Mobilität. So können Quartiere insgesamt nachhaltig werden, auch wenn einzelne Gebäude nicht alle Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen – was angesichts der Tatsache, dass zwei Drittel des CO2 aus dem Bestand und nicht dem Neubau komme, ohnehin unrealistisch sei. In diesem Zusammenhang gehörten laut den Expert:innen auch die Genehmigungsverfahren für nach­haltiges Bauen und Sanieren gestrafft, um schneller ins Tun zu kommen.

Kreislaufwirtschaft in einer Kreislaufgesellschaft

Damit das Bauen, Wohnen und Leben in Städten zukunftsfähig bleibt, brauche es neben den Anstrengungen der Branche und technischen Lösungen gesamtgesellschaftliche und grenz­überschreitende Kraftanstrengungen, so die Expert:innen der Themenreise in Wien. „Nach­haltigkeit beginnt in unseren Köpfen. Unser Verhalten, unsere Ökonomie müssen sich ändern. Dazu braucht es uns alle, jeden Tag“ appellierte Karin Huber-Heim vom Circular Economy Forum Austria. Nachhaltiges Nutzerverhalten erfordere neue Geschäftsmodelle, die nicht auf Produkt und Absatz abzielen, sondern „user und result orientated“ sind und den Wert eines Produkts in den Mittelpunkt stellen. „Wollen wir unseren Wohlstand erhalten, müssen wir die Abhängigkeit von Rohstoffen und Energie auflösen. Unser Nutzungsverhalten muss sich in Richtung Rethink, Reinvent, Regenerate weiterentwickeln“, so Huber-Heim.

Geislinger-Geschäftsführer Torsten Philipp geht noch einen Schritt weiter und spricht sich für eine „circular diplomacy“ aus: „Zirkularität ist komplex und kennt keine nationalen Grenzen, es braucht Globalisierung und Kooperation für erfolgversprechende Lösungen sowie Anreize für jede:n Einzelne:n“. Laut Philipp könne gerade Europa hier Vorreiter sein: „Billig viel zu produzieren, darin sind andere Länder und Weltregionen besser. Doch Europa hat Erfahrung darin, komplexe Herausforderungen zu meistern.“