Seit den 1960er-Jahren werden sogenannte Wärmedämmverbundsysteme, kurz WDVS, an Fassaden verbaut. Heute geforderte Energieeffizienzklassen werden mit den in der Vergangenheit verbauten Dämmstärken jedoch nicht mehr erreicht. Bei Sanierung und Abriss fällt daher WDVS als Abfallstoff an, der üblicherweise in Müllverbrennungsanlagen (MVA) entsorgt wird. Der Frage, wie sich der Dämmverbund stofflich und energetisch verwerten lässt, widmet sich die Arbeitsgruppe Ressourcen des Instituts IWARU der FH Münster im Rahmen des Forschungsprojektes „RESSOURCE.WDVS“. Ein Großversuch in einem Zementwerk mit 14 Tonnen WDVS-Material lieferte zum Projektabschluss wichtige Erkenntnisse und gibt wesentliche Impulse für die weiterführende Forschung.
Ein Hauptbestandteil des im Projekt betrachteten WDVS ist expandiertes Polystyrol (EPS), auch bekannt als Styropor, das aus Erdöl hergestellt wird. Hinzu kommen eine Putz- sowie eine Glasfaserschicht. Etablierte Verfahren zur stofflichen und energetischen Verwertung von WDVS gibt es bisher nicht. „Und die Entsorgung in der MVA stößt an ihre Grenzen. Die Anlagen sind weitgehend mit anderen Abfallströmen ausgelastet und das Material ist für die Verbrennung in der MVA technisch nicht besonders gut geeignet“, sagt Projektleiterin Prof. Dr. Sabine Flamme. Einen wichtigen Beitrag im Projekt leistete Dr. Niklas Heller: Mit seiner Promotion am Fachbereich Bauingenieurwesen zeigte er, dass sich das über Klebungen oder Dübel verbundene Dämmsystem mit geeigneter Aufbereitungstechnik wieder in seine Einzelkomponenten auftrennen lässt. „Der hohe Energiegehalt von EPS wird im Zementwerk effizient genutzt, der Putz – also die Mineralik – verbrennt nicht und ersetzt Rohmehl, aus dem der Zementklinker entsteht“, erklärt die Professorin für Ressourcen-, Stoffstrom- und Infrastrukturmanagement.
Bauingenieurin Jana Winkelkötter übernahm das Projekt von Heller mit dem Ziel, einen Großversuch im Zementwerk durchzuführen. „Frau Winkelkötter hat das Vorhaben zunächst in ihrer Masterarbeit durchgespielt und nun in der Praxis gezeigt, dass der Ansatz funktioniert. Das ist ein großer Meilenstein in unserem Projekt“, so Flamme. Zudem wurde in der Promotion und in der Masterarbeit nachgewiesen, dass dieser Entsorgungsweg auch ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist.
Den Versuch hat das Team in einem Werk der PHOENIX Zementwerke Krogbeumker Holding GmbH & Co. KG in Beckum durchgeführt. Über 14 Stunden wurden 14 Tonnen zerkleinertes und gesiebtes WDVS-Material in der sogenannten Sekundärfeuerung verbrannt. Unterstützt wurde das Team hierbei von Gaarmann Overhaus Container GmbH und Co. KG, Doppstadt Umwelttechnik GmbH, ALLRECO GmbH, BASF SE und Sto SE & Co. KGaA. Die Versuchsmengen stammen aus zwei Rückbauvorhaben in Münster und Tübingen.
„Das Material zu sammeln, war eine große Herausforderung“, erinnert sich Winkelkötter. „Vor allem das EPS ist leicht, aber voluminös. Und es gibt noch keine Infrastruktur in Deutschland für die Sammlung, Logistik und Aufbereitung von WDVS.“ Zudem mussten vorab Proben des eingesetzten WDVS nach den Vorgaben der Bezirksregierung untersucht werden, ob diese beispielsweise Chlor, Schwefel oder Schwermetalle enthalten. „Diese Qualitätskontrolle ist sehr wichtig, da man nicht weiß, was mit dem Gebäude über die Jahre passiert ist und welche Stoffe im WDVS konkret enthalten sind beziehungsweise sich im Laufe der Zeit dort angesammelt haben könnten.“ Doch der Aufwand habe sich gelohnt: Der Versuch zeigt, dass sich das EPS und die mineralischen Komponenten sinnvoll im Zementwerk einsetzen lassen. In einem nächsten Schritt ist ein weiterer Großversuch mit circa 100 Tonnen WDVS-Material über einen Zeitraum von einer Woche mit einer umfassenden Bilanzierung über die Klinkerqualität und die Emissionen geplant.