"Österreich ist gebaut" - die Raumordnungsexpertin Gerlind Weber sieht eigentlich keinen Bedarf und Platz mehr für weiteren Flächenverbrauch, vielmehr empfiehlt sie auf Baulandmobilisierung, Sanierung und Bodenschutz zu setzen. In einer Pressekonferenz mit dem Grünen Landesrat Stefan Kaineder in Linz ging sie auch mit "Milchmädchenrechnungen" hart ins Gericht, wonach in Österreich ohnehin nur fünf Prozent verbaut seien. Rechne man Berge etc. weg, seien es nämlich 15 Prozent.
Zwei Drittel von Österreich seien kein Dauersiedlungsraum, sondern Gebirge, Weiden oder Ödland, so Weber, Raumordnungs-Professorin der Universität für Bodenkultur (Boku) im Ruhestand. Betrachte man das verbleibende "Netto-Österreich", seien also nicht fünf, sondern 15 Prozent verbaut, hielt sie immer wieder von Politikern - zuletzt von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) - vorgebrachten Rechnungen entgegen. "Das ist viel", besonders wenn man sich als Land selbst ernähren wolle. Zudem würden in Zukunft auch Industrierohstoffe viel mehr als bisher aus nachwachsenden Quellen kommen, man werde also noch mehr Anbaufläche brauchen als bisher.
"Die Siedlungsentwicklung ist in Oberösterreich besonders schlecht gelaufen", konstatiert Weber. Sie verweist u.a. auf eine Studie einer Forschungsgruppe rund um den Ökologen Helmut Haberl von der Boku. Hier wurde Österreich auf Satellitenbildern mehrerer Jahrzehnte in einen Raster von 100 mal 100 Metern unterteilt und die Siedlungsdichte analysiert. Dabei kam heraus, dass sich die Zersiedelung von 1975 bis 2020 versechsfacht hat. Zersiedelung koste aber - wegen der dezentralen Infrastruktur von der Verkehrsanbindung bis zum Hochwasserschutz - nicht nur viel Geld, führte Weber aus, sondern die abgelegenen Standorte seien im Katastrophenfall auch vulnerabler.
Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (ÖVP) hatte erst am Montag berichtet, dass man sich in Oberösterreich verbessere: "Seit 2021 sind in Oberösterreich um rund 50 Prozent weniger neue Flächen für Bauland und Verkehrsflächen in Anspruch genommen worden", bilanzierte er, "92,4 Prozent der Fläche Oberösterreichs sind Grünland."
"Ja, in den 70ern war es noch schlimmer", so Kaineder mit Blick auf die Haberl-Studie, aber in Oberösterreich würden laut Oö. Bodeninformationsbericht 2020 trotzdem immer noch täglich 2,1 Hektar für Siedlungs-, Verkehrs- und Geschäftsflächen verbraucht, und das sei nahezu so viel, wie die Raumordnungskonferenz für ganz Österreich (2,6 Hektar) empfiehlt. Achleitner weist diese Zahl entschieden zurück: "Die Abteilung Raumordnung des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung hat anhand des digitalen Flächenwidmungsplans erhoben, dass die Flächeninanspruchnahme in Oberösterreich für Bauland und Verkehrsflächen im vergangenen Jahr 2023 täglich 0,55 Hektar betragen hat."
Kritik üben Kaineder und Weber auch am Umgang mit Leerstand. Laut Wifo würden 20 Prozent der Wohnungen in Österreich leer stehen, so Kaineder. Allein in Oberösterreich seien es nach Greenpeace-Berechnung rund 30.000 Wohnungen mit einer Wohnfläche von insgesamt 2,6 Millionen Quadratmetern, mit dem Leerstand könne man "die Stadt Wien nachbauen". Das Fazit Webers: "Österreich ist gebaut." Es gebe zwar viele nicht rationell bebaute Flächen, die man unter die Lupe nehmen müsse, aber in Summe sei der Bestand bereits "am Limit". Nun müsse man die Sanierung in den Vordergrund stellen, etwa indem man die Wohnbauförderung adaptiert oder Anreize für Bodensparen setzt. Sie plädiert daher ebenso wie Kaineder für eine Leerstandsabgabe.
Ansatzpunkte für sparsameren Umgang mit dem Boden gäbe es nach Ansicht Webers viele: "Wir müssen die Gemeinden aus dem mörderischen Wettlauf um die Kommunalsteuer herausführen", dieser fördere die Verbauung und Versiegelung, sieht sie Bedarf den Finanzausgleich hier zu ändern. Was die Kommunalsteuer als möglichen Treiber des Bodenverbrauchs angeht, verweist Achleitner darauf, dass 290 der 438 Gemeinden in Oberösterreich bereits in einer oder mehreren Kooperationsgemeinschaften vertreten seien, die gemeinsam Betriebsbaugebiete entwickeln und die Kommunalsteuer teilen. Weber bezweifelt allerdings, dass diese Gemeindekooperationen wirklich funktionieren, "jeder Bürgermeister rennt für seine eigene Gemeinde" und wolle die Kommunalsteuer dorthin holen, meint sie.
Ein weiterer Punkt, an dem man ansetzen könnte, sind für Weber die Zweitwohnsitze: "Es ist beschämend, welches Schindluder mit dem Meldewesen getrieben wird", meint sie etwa mit Blick auf die Zweitwohnsitze in ihrer Heimat, dem Salzkammergut. In Oberösterreich vermisst sie eine "Nutzungsverpflichtung von Baulandwidmungen" - deren Fehlen sei mittlerweile "eine Rarität", verweist sie etwa auf Vorarlberg, wo unbebautes Bauland nach einer gewissen Zeit wieder zu Grünland werde. Achleitner betont, dass es in Oberösterreich keine Bauland-Neuwidmung mehr ohne den Abschluss von Baulandsicherungsverträgen gebe und damit sichergestellt werde, dass bereits gewidmetes Bauland auch tatsächlich genutzt wird. Aber genau diese Vorgehensweise kritisierte Weber in der Pressekonferenz, denn "wesensgemäß beschränken sich Baulandverträge auf die Umwidmung der 'grünen Wiese'". (apa)