Anhaltender Handelsstreit mit Folgen: Eine aktuelle Studie des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) und des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) warnt vor den potenziellen, weitreichenden wirtschaftlichen Auswirkungen des bisherigen globalen Handelskonflikts: Weltweit könnte der Wohlstand innerhalb von einem Jahr um durchschnittlich 1,1 Prozent sinken – das entspricht einem geschätzten Verlust des wirtschaftlichen Gesamteinkommens von etwa 62 Milliarden US-Dollar infolge von Preissteigerungen. Die Studie modelliert die potenziellen Auswirkungen der US-Strafzölle auf Wohlstand, Produktion und Handel in 62 Ländern - basierend auf den letztverfügbaren bilateralen Zolldaten von Juni 2025. Die absoluten Verluste können demnach deutlich höher ausfallen.
„Der politische Protektionismus der USA trifft viele Volkswirtschaften hart, weil sie stark von US-Importen abhängig sind. Die Auswirkungen des Handelskonflikts können sich in den kommenden Monaten noch deutlich verschärfen, weil sie für unterbrochene Lieferketten, steigende Kosten und eine sinkende Nachfrage sorgen, die ganze Branchen ausbremsen. Das führt zu weniger Produktion, drückt Einkommen und Konsum und schwächt den Wohlstand“, erklärt Asjad Naqvi, ASCII Researcher und Senior Economist am WIFO. Zölle belasten importabhängige Länder am stärksten: Wohlstandsverluste von bis zu -4,1 % möglich
Laut Modellberechnung der Studie könnte der Zollkonflikt weltweit zu teils erheblichen Wohlstandsverlusten von bis zu -4,1 Prozent führen – je nach Handelsstruktur der einzelnen Volkswirtschaften. Besonders betroffen sind Länder, die stark von den nun teureren US-Importen abhängig sind und nur schwer auf andere Handelspartner oder Produkte ausweichen können. Mexiko (-4,1 %) und Kanada (-3,4 %), die beiden wichtigsten Handelspartner der USA, verzeichnen schätzungsgemäß die größten Verluste, da sie viele Vorleistungs- und Endprodukte aus den USA beziehen. Auch das kleine Inselentwicklungsland Fidschi (-2,6 %) und weitere, insbesondere asiatische, Schwellenländer wie Philippinen (-1,55 %), die Malediven (-1,85%), Sri Lanka (-1,42 %), Indien (-0,76 %) und Bangladesch (-0,61 %) müssen ebenfalls mit teils deutlichen Einbußen rechnen. Hingegen zeigen sich Länder mit hoher Binnenproduktion wie Deutschland oder China wesentlich robuster und verzeichnen vergleichsweise geringe Verluste (-0,49 % bzw. -0,61 %). In Europa liegt der durchschnittliche Wohlstandsverlust voraussichtlich bei -0,7 Prozent. Während Länder wie Frankreich (-0,48 %) oder Italien (-0,39 %) vergleichsweise wenig verlieren, sind andere Länder wie Irland (-2,31 %), die Niederlande (-1,24 %) oder Dänemark (-1,16 %) durch ihre höhere US-Handelsabhängigkeit deutlich stärker betroffen. Die USA selbst verzeichnen mit -0,15 Prozent den geringsten Wohlstandsverlust – trotz umfassender Gegenzölle. Grund dafür ist ihre vergleichsweise geringe Importabhängigkeit: Ein großer Teil der Nachfrage wird durch heimische Produktion gedeckt, sodass steigende Importpreise kaum Auswirkungen auf den Wohlstand haben. Gleichzeitig profitieren die USA von der weltweit starken Abhängigkeit anderer Länder von US-Exporten.
„Viele Länder sind heute deutlich stärker von importierten Vorleistungs- und Endprodukten abhängig als noch vor wenigen Jahren, im Schnitt zwischen 8 und 9 Prozent, weil heimische Alternativen fehlen. Das macht sie besonders anfällig für Preisschocks wie Zölle. Steigen die Preise, fehlt oft die Möglichkeit, rasch auf heimische Alternativen umzusteigen. Um sich die teureren Importprodukte leisten zu können, müssen Unternehmen und Verbraucher ihre inländischen Ausgaben reduzieren. Das verringert die Kaufkraft, bremst Wachstum und Produktion – und schadet der gesamten Wirtschaft“, sagt Naqvi.—Asjad Naqvi - ASCII Researcher und Senior Economist am WIFO
Österreich vergleichsweise stabil – aber Schlüsselindustrien unter Druck
Im internationalen Vergleich zeigt sich Österreichs Wirtschaft robust gegenüber den direkten Folgen der US-Zölle: Der Wohlstandsverlust liegt voraussichtlich bei nur -0,33 Prozent. Grund dafür ist die relativ geringe Abhängigkeit von US-Importen und -Exporten innerhalb der gesamten Handelsstruktur. Zwar sind die USA nach Deutschland Österreichs zweitwichtigster Exportmarkt, doch ihr Anteil am gesamten Außenhandel ist deutlich geringer als jener anderer europäischer Partner. Dennoch drohen indirekte Effekte: Steigende Importpreise, internationale Lieferengpässe und mögliche Rückwirkungen auf europäische Zulieferbetriebe könnten sich mittelfristig auf exportorientierte heimische Schlüsselbranchen auswirken – mit Folgen für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung.
„Österreich bleibt von unmittelbaren Zollschocks aufgrund einer stabilen Binnenwirtschaft vorerst weitgehend verschont – doch die Gefahr kommt durch die Hintertür: Wenn Zulieferteile teurer oder knapper werden, geraten auch heimische Exporteure unter Druck. Die eigentlichen Risiken liegen in den indirekten Dominoeffekten. Was heute stabil wirkt, kann morgen Wachstum und Arbeitsplätze kosten“, so ASCII Researcher Naqvi.
Studie warnt vor Gegenzöllen: Treffen eigene Wirtschaft härter als die der USA
Um die Auswirkungen der seit April 2025 verhängten US-Zölle abzufedern, haben mehrere Länder bisher Gegenzölle auf amerikanische Produkte eingeführt. Doch laut Studie könnten diese Maßnahmen zu größeren wirtschaftlichen Schäden im eigenen Land führen, als sie in den USA bewirken. Vor allem exportabhängige Länder, für die die USA ein zentraler Absatzmarkt sind, müssen mit Einnahmeverlusten zwischen 0,5 Prozent und 5 Prozent rechnen. So verzeichnet etwa Kanada durch die Gegenzölle schätzungsgemäß den größten Einnahmeverlust von 5 Prozent, gefolgt von Finnland (-1,8 %), Irland (-1,78 %) und Dänemark (-1,2 %). In Deutschland und Österreich liegt der geschätzte Verlust bei -1,02 Prozent bzw. -0,48 Prozent.
Die USA selbst verzeichnen trotz der verhängten Gegenzölle voraussichtlich nur geringe wirtschaftliche Einbußen von lediglich -0,03 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass sie weniger auf Importe aus dem Ausland angewiesen sind.
„Gegenzölle wirken oft wie ein Bumerang – sie sollen Druck auf die USA ausüben, treffen aber in vielen Fällen die eigene Wirtschaft härter. Besonders exportabhängige Länder zahlen am Ende selbst den höchsten Preis“, erklärt Naqvi.
Studie plädiert für langfristige politische Strategien und faire Handelsabkommen
Die Studie zeigt, welche wirtschaftspolitischen Schritte notwendig sind, um Länder widerstandsfähiger zu machen und ihren Wohlstand zu sichern. Zentral sei es, Lieferketten breiter aufzustellen, Exportmärkte zu diversifizieren und gezielt in die heimische Produktion kritischer Güter wie Energie oder Medikamente zu investieren. So lassen sich Abhängigkeiten verringern, die Versorgung sichern und die Anfälligkeit gegenüber Preisschocks oder Handelskonflikten reduzieren. Zugleich warnen die Studienautoren vor kurzfristigen politischen Reaktionen wie Gegenzöllen: Diese erzeugen zwar politischen Druck, schaden aber oft der eigenen Wirtschaft mehr als dem Handelspartner und behindern den Aufbau stabiler Handelsbeziehungen. Statt reflexartiger Maßnahmen brauche es datenbasierte Strategien, die zeigen, wie empfindlich Länder auf Preis- und Lieferveränderungen reagieren.
„Nur wer versteht, wie anfällig die eigene Wirtschaft für Preis- und Lieferschocks ist, kann resilient und vorausschauend handeln. In einer zunehmend protektionistisch geprägten Weltwirtschaft sind internationale Kooperationen und faire Handelsabkommen der verlässlichste Weg zu Stabilität und nachhaltigem Wachstum“, schließt ASCII-Direktor Peter Klimek.