Wie gelingt die Transformation des Gebäudebestands in Österreich – ökologisch, wirtschaftlich, sozial? Diese Frage stand im Zentrum des ersten österreichischen Sanierungsgipfels, der von IG Lebenszyklus Bau und RENOWAVE.AT gemeinsam mit der Bundeskammer der Ziviltechniker initiiert wurde. Vertreter von 24 Verbänden und Organisationen trafen sich im Rahmen der ganztägigen Veranstaltung, um unter dem Leitsatz „Gemeinsam den Gebäudebestand transformieren – wir sind viele“ zentrale Hebel und Hürden zu benennen – mit dem Ziel, Synergien zu definieren und die Basis für die gemeinsame Erarbeitung von Lösungsansätzen zu schaffen.
„Sanierung ist das Thema der Zukunft, es wird uns die nächsten Jahre intensiv beschäftigen. In Österreich gibt es so viele wertvolle Initiativen und Ansätze dazu. Wir wollen alle dasselbe. Aber solange wir es nicht gemeinsam und mit einer Sprache sagen, verlieren wir an Wirkungskraft, auch der Politik gegenüber. Dabei ist die wirtschaftliche Kraft hinter dem Thema enorm – das zeigt die hohe Beteiligung der Verbände, die insgesamt mehrere tausend Unternehmen vertreten“, betonte—Wolfgang Kradischnig, IG Lebenszyklus Bau, DELTA, in seinem Eröffnungsstatement.
„Wir kommen nicht so voran, wie wir gerne würden. Es ist Sand im Getriebe – und wir haben nun erstmals gemeinsam sichtbar gemacht, wo dieser Sand ist.“—Ulla Unzeitig von RENOWAVE.AT, ein Innovationslabor, das ausschließlich auf Sanierung spezialisiert ist, bringt es auf den Punkt:
„Wir verbrauchen jedes Jahr eine Fläche so groß wie Eisenstadt. Dabei ist Österreich bereits fertig bebaut! Wir Ziviltechniker betonen das, weil wir wissen, wie viel Potenzial in unserem wertvollen Bestand steckt. Eine regelrechte Normen- und Anforderungsflut hindert uns jedoch daran, dieses Potenzial auszuschöpfen und die Lebensqualität in den Ortskernen zu erhöhen – und führt stattdessen zu Leerstand und Zersiedelung. Um unsere Gebäude qualitätsvoll und leistbar zu sanieren, ist daher jetzt die Entbürokratisierung von Anforderungen notwendig!“—Daniel Fügenschuh, Präsident der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen, unterstrich die Rolle von innovationshemmenden Normen und Anforderungen für Sanierungen:
Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen standen die Themenfelder Finanzierung, Akzeptanz und technische Kompetenz im Fokus der Veranstaltung. Aus knapp 60 im Vorfeld kartierten Problemfeldern wurden sechs wichtige Herausforderungen identifiziert, welche nun als ersten Startschuss den Ausgangspunkt für verbandsübergreifende Arbeitsgruppen bilden, die in den kommenden Monaten konkrete Maßnahmenvorschläge ausarbeiten wollen – mit dem Ziel, gemeinsam auf Politik, Verwaltung und Wirtschaft zuzugehen.
Neue Narrative statt alter Denkweisen
Einigkeit herrschte auch darüber, dass es mehr braucht als Zahlen: Emotionale Bilder prägen Entscheidungen, wie Storyteller Stefan Stockinger betonte. Wer die Menschen für Sanierung begeistern will, muss gängige Narrative („Neubau = Erfolg, Sanierung = Last“) hinterfragen und durch neue, positive Geschichten ersetzen – etwa: „Sanierung stiftet Identität – sie verbindet den Charme des Alten mit dem Komfort des Neuen.“
Sechs Herausforderungen und erste Lösungsansätze
1. Bodenverbrauch & Raumplanung
Der Flächenverbrauch wächst schneller als die Bevölkerung – ein Missverhältnis, das von der Finanz- und Steuerpolitik nicht aufgefangen wird. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, damit der Selbstversorgungsgrad mit landwirtschaftlichen Produkten in Österreich erhalten bleiben kann.
Lösungsansatz: die Einführung ökologischer Lenkungsinstrumente wie eine Grundsteuerreform, differenzierte Steuersätze für unbebaute Grundstücke oder eine Verkehrserregerabgabe.
2. Fehlender Auftrag für Hausverwaltungen
Hausverwaltungen sind zentrale Akteure in der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen im mehrgeschossigen Wohnbau. Gleichzeitig ist die Willensbildung bei Wohnungsgemeinschaften ein komplexer und (kosten)aufwendiger Prozess.
Lösungsansatz: Anreizsysteme (auch finanzieller Natur), Schulungen und Dialogformate anbieten, um Hausverwaltungen als Partner für klimafitte Sanierungen zu gewinnen.
3. Fehlende wirtschaftliche Anreize für Sanierung
Die rechtlichen Rahmenbedingungen machen Sanierung – besonders im preisgedeckelten Mietsegment – oft unrentabel.
Lösungsansatz: Eine Reform des Richtwertsystems unter Berücksichtigung energietechnischer und baulicher Qualitätskriterien würde gezieltere Investitionen ermöglichen, besonders mit innovativen Finanzierungsmodellen und einer reduzierten “Umbauordnung”.
4. Investitionen scheitern an Liquidität & langen Abschreibungsfristen
Geringe Abschreibungssätze bremsen Investitionen und hemmen Sanierungsdynamiken.
Lösungsansatz: Flexiblere und kürzere Abschreibungszeiträume – gekoppelt an Nachhaltigkeitskriterien – schaffen finanzielle Spielräume für Investor:innen.
5. Fehlende Daten und unklare Nachhaltigkeitsziele
Wichtige Informationen – etwa zum energietechnischen Zustand von Gebäuden – sind unvollständig oder nicht vergleichbar, da die Umsetzung nationaler Vorgaben auf Länderebene stagniert. Darüber hinaus fehlen Benchmarks als Leitplanken und klare Definitionen für eine ganzheitliche Betrachtung der ökologischen, funktionalen und wirtschaftlichen Auswirkungen.
Lösungsansatz: Daten der Errichtung und der Nutzung sind aufzubauen, um Einsparungsziele festlegen zu können. Es braucht eine koordinierte Datenerhebung und neue institutionalisierte Datenerhebungsformate zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, dadurch entstehen klare Definitionen. Eine gezielte Bedarfsklärung und strukturierte Leitfäden mit Benchmarks schaffen eine verlässliche Planungsgrundlage für nachhaltiges Bauen.
6. Blockierende Gesetze
Sanierungsmaßnahmen scheitern häufig an starren gesetzlichen Vorgaben oder Eigentumsverhältnissen, obwohl sie ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll wären.
Lösungsansatz: Prüfung und Anpassung relevanter Gesetze wie MRG, WEG und ABGB zur Ermöglichung notwendiger Sanierungsmaßnahmen.
Zu obigen Themen bilden sich in den kommenden Monaten verbandsübergreifende Arbeitsgruppen, die die Grundlage für einen detaillierten Themen- und Maßnahmenkatalog bilden sollen.